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Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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er, dem Gemurmel von dreitausend Menschen unter freiem Himmel oder dem Hintergrundgeräusch von ein paar hundert schwatzenden Menschen im Senat am nächsten. An derlei störende Geräusche müsse Cicero sich gewöhnen.
    »Und was ist mit dem Inhalt?«, fragte Cicero. »Soll nicht in erster Linie die Kraft meiner Argumente zum Zuhören zwingen?«
    Molon zuckte mit den Achseln. »Inhalt geht mich nichts an. Denk an Demosthenes: ›Bei der Redekunst zählen nur drei Dinge. Der Vortrag, der Vortrag und noch mal der Vortrags«
    »Und mein Stottern?«
    »Auch dein St-stottern intere-ressiert mich nicht«, erwiderte Molon grinsend und zwinkerte mit den Augen. »Nein, im Ernst, Stottern ist interessant, es vermittelt den Eindruck von Ehrlichkeit, das ist von Nutzen. Demosthenes hat selbst leicht gelispelt. Das Publikum identifiziert sich mit solchen Unzulänglichkeiten. Das einzig Öde ist Perfektion. Also, geh jetzt ein Stück den Strand hinunter, und lass hören, ob ich dich noch verstehen kann.«
    Und so hatte ich die Ehre, von Anfang an miterleben zu dürfen, wie der eine Meister der Redekunst dem anderen seine Kunstgriffe beibrachte. »Möglichst nicht den Kopf neigen, das macht einen unmännlichen Eindruck. Nicht mit den Fingern schlenkern und immer die Schultern still halten. Wenn du für eine Geste deine Finger brauchst, dann versuch, den gekrümmten Mittelfinger auf die Daumenspitze zu legen und die drei restlichen Finger gerade auszustrecken - genau, so ist es gut. Natürlich muss der Blick immer den Bewegungen der Geste folgen, außer bei einer zurückweisenden Bemerkung: ›Die Götter mögen uns von dieser Plage verschonen‹ oder ich glaube nicht, dass ich diese Ehre verdiene.‹«
    Alles Schriftliche war verboten. Kein Redner, der diesen Namen verdiente, würde im Traum daran denken, einen Text vorzulesen oder sich mit einem Stapel Notizen zu behelfen. Molon bevorzugte die Standardmethode, um eine Rede einzustudieren: die des imaginären Rundgangs durch das Haus des Redners. »Stell dir den ersten Punkt, den du vortragen willst, im Eingangsbereich vor, den zweiten im Atrium und so weiter. Du wanderst, wie du es gewohnt bist, durchs Haus und weist nicht nur jedem Raum, sondern jeder Nische und jeder Statue einen bestimmten Abschnitt der Rede zu. Achte darauf, dass jede dieser Stellen gut beleuchtet ist, klar umrissen und unterscheidbar. Sonst wirst du herumtappen wie ein Betrunkener, der nach einem Fest sein Bett sucht.«
    Cicero war nicht Molons einziger Schüler in jenem Frühling und Sommer. Nach und nach stießen Ciceros jüngerer Bruder Quintus, sein Vetter Lucius und zwei seiner Freunde zu uns: Servius, ein penibler Rechtsanwalt, der Richter werden wollte, und Atticus - der elegante, charmante Titus Pomponius Atticus -, den die Redekunst nicht interessierte, da er in Athen lebte und ganz sicher keine politische Karriere anstrebte, sondern sich einfach gern in Ciceros Gesellschaft aufhielt. Alle staunten über die Veränderungen, die Ciceros Gesundheit und Auftreten erfahren hatten, und an ihrem letzten gemeinsamen Abend - es war inzwischen Herbst geworden und Zeit, nach Rom zurückzukehren - kamen sie zusammen, um mit eigenen Ohren zu hören, wie sich Molons Bemühungen auf Ciceros Redekunst ausgewirkt hatten.
    Ich wünschte, ich könnte mich erinnern, worüber Cicero an jenem Abend nach Tisch gesprochen hat, aber ich furchte, ich bin der lebende Beweis für Demosthenes ' zynische Behauptung, dass - verglichen mit der Art des Vortrags - der Inhalt nichts zählt. Ich stand diskret im Schatten, außer Sichtweite, und entsinne mich nur noch an die Motten, die wie Aschepartikel um die Fackeln herumwirbelten, an die glitzernden Sterne am Himmel über dem Innenhof und an die Cicero zugewandten, vom Feuerschein geröteten Gesichter der hingerissenen jungen Männer. Allerdings erinnere ich mich noch genau an die Worte Molons, nachdem sich sein Schüler mit einer abschließenden Verbeugung zur imaginären Geschworenenbank wieder gesetzt hatte. Nach langem Schweigen erhob er sich und sagte mit heiserer Stimme: »Ich gratuliere dir, Cicero, du hast mich in Staunen versetzt. Was ich bedauere, ist Griechenland, das Schicksal Griechenlands. Der uns einzig verbliebene Ruhm war der überlegene Rang unserer Rhetorik, und diesen hast du uns jetzt auch genommen. Geh zurück«, sagte er und deutete mit jenen drei ausgestreckten Fingern über die vom Fackelschein erleuchtete Terrasse in Richtung des fernen, dunklen Meeres.

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