Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
Vom Netzwerk:
den ersten Schritt zurück ins Haus, als ein Mann in Trauerkleidung bedrohlich im Türrahmen auftauchte. Ich scheue mich nicht, zu gestehen, dass er mir mit seinem verstaubten Gewand, den zerzausten Haaren und seinem unrasierten Gesicht Angst einjagte.
    »Tirol«, sagte er. »Den Göttern sei Dank!« Er sank erschöpft gegen den Türrahmen und schaute mich aus blassen, leblosen Augen an. Ich schätze, er muss damals so um die fünfzig gewesen sein. Im ersten Augenblick wusste ich nicht, wer er war, aber da es zu den Aufgaben eines politischen Sekretärs gehört, Gesichtern Namen zuordnen zu können, fugten sich vor meinem geistigen Auge trotz seines Zustandes nach und nach die Teile eines Bildes zusammen: ein großes Haus mit Blick aufs Meer, ein kunstvoll angelegter Garten, eine Sammlung Bronzestatuen, eine Stadt irgendwo in Sizilien, im Norden - richtig, Thermae.
    »Sthenius aus Thermae«, sagte ich und streckte die Hand aus. »Herzlich willkommen.«
    Es stand mir nicht zu, sein Äußeres zu kommentieren oder ihn danach zu fragen, was er Hunderte von Meilen entfernt von zu Hause zu tun habe, und das unter so offensichtlich üblen Umständen. Ich ließ ihn im Tablinum warten und ging in Ciceros Arbeitszimmer. Der Senator, der an jenem Morgen bei Gericht einen des Vatermordes angeklagten Jugendlichen zu verteidigen hatte und außerdem zur Nachmittagssitzung im Senat erwartet wurde, knetete zur Kräftigung seiner Fingermuskeln einen kleinen Lederball, während ihm sein Diener die Toga anlegte. Er hörte dem jungen Sositheus zu, der ihm einen Brief vorlas, und diktierte gleichzeitig Laurea, dem ich die Grundzüge meiner Kurzschrift beigebracht hatte, eine Botschaft. Als ich eintrat, warf er mir den Ball zu, den ich reflexartig auffing, und bedeutete mir, ihm die Besucherliste zu geben. Er las sie begierig durch, wie jeden Morgen. Wer war ihm über Nacht ins Netz gegangen? Irgendein prominenter Bürger aus einem nützlichen Wahlbezirk? Einer aus Sabatina vielleicht? Oder Pomptina? Oder ein Geschäftsmann, der so reich war, dass er bei den Konsulatswahlen zu den ersten stimmberechtigten Zenturien gehörte? Aber heute handelte es ich nur um die üblichen kleinen Fische, sodass sein Gesicht immer länger wurde, je näher er dem Ende der Liste kam.
    »Sthenius?« Er unterbrach das Diktat. »Das ist doch dieser Sizilier, oder? Der Reiche mit den Bronzestatuen? Schätze, wir hören uns mal an, was er will.«
    »Sizilier dürfen nicht wählen«, bemerkte ich.
    »Pro bona«, sagte er mit unbewegtem Gesicht. »Außerdem hat er Bronzestatuen. Lass ihn als Ersten rein.«
    Also holte ich Sthenius, dem Ciceros Standardbegrüßung zuteil wurde - ein Lächeln, das schon zu seinem Markenzeichen geworden war; der männlich kräftige Händedruck mit beiden Händen; der lange, ernste Blick in die Augen. Dann bat er ihn, Platz zu nehmen, und fragte, was ihn nach Rom führe. Nach und nach wurden meine Erinnerungen an Sthenius wieder wach. Zwei Mal, als Cicero zur Anhörung von Streitsachen nach Thermae gereist war, hatten wir in seinem Haus übernachtet. Er war einer der führenden Bürger der Provinz gewesen, doch von der Vitalität und dem Selbstvertrauen von damals war nichts mehr zu spüren. Er brauche Hilfe, sagte er. Er stehe vor dem Ruin. Sein Leben sei in ernster Gefahr. Man habe ihn ausgeraubt.
    »Tatsächlich?«, sagte Cicero. Während er mit halbem Ohr zuhörte, schaute er auf eine Urkunde, die vor ihm auf dem Schreibpult lag. Elendsgeschichten wie diese waren für einen beschäftigten Anwalt nichts Besonderes. »Du hast mein Mitgefühl. Ausgeraubt von wem?«
    »Vom Statthalter in Sizilien, Gaius Verres.«
    Der Senator schaute augenblicklich auf.
    Danach war Sthenius nicht mehr zu bremsen. Während es nur so aus ihm heraussprudelte, bedeutete mir Cicero mit einer unauffälligen Handbewegung, dass ich mitschreiben solle. Als Sthenius seinen Redefluss kurz unterbrechen musste, um Luft zu holen, bat Cicero ihn behutsam, doch ein bisschen zurückzugehen, etwa drei Monate, bis zu dem Tag, an dem er den ersten Brief von Verres erhalten habe. »Wie hast du darauf reagiert?«
    »Ich war natürlich etwas beunruhigt. Er hat schließlich einen gewissen Ruf. Verres heißt ja Eber, und die Leute nennen ihn den Eber mit der blutverschmierten Schnauze. Ich konnte mich kaum widersetzen.«
    »Hast du den Brief noch?«
    »Ja.«
    »Und in dem Brief hat Verres deine Kunstsammlung explizit erwähnt?«
    »Ja, sicher. Er hat geschrieben, dass er davon

Weitere Kostenlose Bücher