Impfen Pro & Contra - Das Handbuch für die individuelle Impfentscheidung
Infektionen mit diesen Erregertypen nachgewiesen, sogar auch bei erwachsenen Kontaktpersonen geimpfter Kinder (Byington 2005, MMWR 2005, Gonzalez 2006, Singleton 2007, Li 2010, Metlay 2010).
Mancherorts breiteten sich sogar Pneumokokken aus, die gegen alle gebräuchlichen Antibiotika resistent sind (Pelton 2007) – die Verhinderung dieser Entwicklung war gerade ein Argument für die Einführung der Impfung.
Führende Infektiologen bezeichnen das »Serotype Replacement« als »komplett« (Wroe 2012) – sie räumen damit ein, dass die Massenimpfung letztlich wirkungslos verpufft. Im Grunde müssten künftig alle paar Jahre neue Pneumokokkenimpfstoffe entwickelt und zugelassen werden, um die jeweils neu auftauchenden Erregertypen mitzuerfassen. Die Zulassung dürfte dabei noch das geringste Problem sein: Den Zulassungsbehörden genügte beim Wechsel von Prevenar zu Prevenar 13 eine einzige vom Hersteller eingereichte Studie zur Nutzen-Risiko-Beurteilung. Das eigentliche Hindernis für eine höhere Schlagzahl ist der große finanzielle Aufwand bei der Impfstoffentwicklung.
Vorläufiger Höhe- und Schlusspunkt ist damit wohl der Impfstoff Prevenar 13, der wegen seines deutlich niedrigeren Aluminiumgehalts zwar Vorteile gegenüber dem etwas älteren Synflorix hat, aber auch deutlich teurer ist. Die Einführung dieses ökonomisch interessanten Impfstoffs war der entscheidende Anlass für die Übernahme des Herstellers Wyeth durch den Pharmagiganten Pfizer im Jahr 2010.
Prevenar 13 wurde für den europäischen Markt maßgeschneidert und erfasst neben den sieben »amerikanischen« nun auch einige »europäische« Pneumokokkentypen. Die Zulassung erfolgte im Hauruckverfahren, es wurden nur Antikörperuntersuchungen vorgelegt und keinerlei Daten zur Wirksamkeit in der freien Wildbahn.
Das
arznei-telegramm
bemängelt an beiden neuen Impfstoffen, Synflorix und Prevenar 13, die geringe Antikörperbildung gegen mehrere der neu hinzugekommenen Impfstofftypen und stellt die Wirksamkeit in Frage: »Ob diese beiden einen größeren klinischen Nutzen haben … ist jedoch unklar. Selbst klinische Gleichwertigkeit mit [dem früheren Impfstoff] Prevenar steht unseres Erachtens in Frage« (
AT
2010). Vielversprechend sind die Aussichten jedenfalls nicht: In England erfasst der neue Impfstoff nur ein Drittel derjenigen Pneumokokkentypen, die sich nach drei Jahren Anwendung von Prevenar in den kindlichen Atemwegen eingenistet hatten (Tocheva 2011).
Im englischsprachigen Beipackzettel von Prevenar war zu lesen, dass die Wirksamkeit durch die gleichzeitige Gabe anderer Impfstoffe (vor allem gegen Keuchhusten, Hib und Polio) beeinträchtigt wird (Wyeth 2000). Dessen ungeachtet hat sich diese Impfpraxis auf breiter Front durchgesetzt.
Es gibt auch noch einige offene ökologische Fragen zur Pneumokokkenimpfung: Noch nie untersucht wurde beispielsweise der mögliche Nutzen, den die Besiedlung der Atemwege mit Pneumokokken hat. Es wäre ja denkbar, dass sie eine Schutzfunktion etwa gegenüber anderen Erregern ausüben (Regev-Yochay 2004) oder dass sie das Immunsystem auf der Schleimhaut in Schwung halten und so Allergien oder Krebserkrankungen verhüten helfen. Die Natur funktioniert nicht nach dem Freund-Feind-Schema, sondern nach systemischen Regelkreisen.
Eine weitere zu klärende Frage betrifft die immunologische Toleranz: Das Immunsystem von Kindern bis zwei Jahren erkennt Zuckermoleküle schlecht, was Bakterien mit einer Zuckerkapsel wie Hib, Pneumokokken oder Meningokokken für sie gefährlich macht. Die Impfstoffe gegen diese Bakterien arbeiten daher mit einem Trick: Zuckermoleküle werden an bestimmte Proteine gekoppelt, »konjugiert«, und schon wird die Abwehr auf den süßen Feind aufmerksam. Der Grund für die frühkindliche »Abwehrschwäche« hat jedoch wahrscheinlich einen Sinn: Zuckermoleküle sind wichtige Bestandteile der Nervenscheiden, die vor allem in den ersten beiden Lebensjahren gebildet werden. Wird die Zuckertoleranz nun durch einen Konjugatimpfstoff durchbrochen, dann könnten Abwehrvorgänge die regelrechte Bildung der Nervenscheiden erschweren und den Aufbau oder die Funktion des Nervensystems stören (Richmand 2011).
Nebenwirkungen der Pneumokokkenimpfstoffe
Die Behörden in den deutschsprachigen Ländern verzichteten auf die Einrichtung eines geeigneten Überwachungssystems zur Beobachtung möglicher negativer Folgen der Pneumokokkenimpfung nach deren Zulassung. Ganz im Vertrauen auf die Informationen
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