Impfen Pro & Contra - Das Handbuch für die individuelle Impfentscheidung
durchgeführt werden. Die Studie war vom Impfstoffhersteller GlaxoSmithKline gesponsert und von Outcomes International in Basel erstellt, einer Aktiengesellschaft mit dem Zweck der »Erbringung umfassender Dienstleistungen weltweit zur Unterstützung der Kommerzialisierung medizinischer Produkte«.
Das
arznei-telegramm
deckte die Industriefinanzierung auf und wies nach, dass die Ausgangsdaten der Kosten-Nutzen-Rechnung manipuliert waren (
AT
2004). Sogar im
Deutschen Ärzteblatt
wurde die Impfempfehlung kritisiert: »Die Empfehlung ist fachlich umstritten … Kritiker werfen der STIKO vor, die Interessen der Pharmaindustrie zu vertreten. Tatsächlich hat ein Konzern, der bis vor kurzem alleiniger Anbieter eines Impfstoffes in Deutschland war, Studien finanziert, anhand deren die STIKO unter anderem ihre Empfehlung aussprach« (Blöß 2005).
Die Windpockenimpfung ist die erste Massenimpfung, für deren Einführung in erster Linie wirtschaftliche Argumente herangezogen wurden. Die weiter oben erwähnten Zahlenspiele um Komplikationen und Todesfälle sollen die ökonomische Zielrichtung der Impfung vernebeln. Es geht letztlich um durchschnittlich eineinhalb bis zwei Krankenpflegetage, deren Kosten vermieden werden sollen. Auffrischungsimpfungen, Impfkomplikationen und ungünstige Folgen des Verschwindens der Windpocken wurden auf der Kostenseite nicht mitberechnet.
Ein spanisches Forscherteam meint angesichts der begrenzten Ressourcen im Gesundheitsbereich: »Ausgedehnte Windpockenimpfprogramme dürften zwar einen Einfluss auf die Krankheitsfolgen und die damit verbundenen Kosten haben, doch müssen die jeweiligen nationalen Gesundheitsbehörden entscheiden, ob die Ressourcen des Gesundheitswesens in diese oder andere Präventionsprogramme fließen sollen« (Gil 2004). Ebenso wie bei den Impfungen gegen Pneumokokken und HPV kommt es auch hier zu einer gigantischen Umschichtung von Mitteln aus dem Gesundheitswesen in die tiefen Taschen der Pharmamultis.
Eines der Argumente für die generelle Windpockenimpfung war die angebliche Verminderung der Herpes-zoster-Fälle im hohen Alter. Bewiesen ist das Gegenteil: Die Wahrscheinlichkeit für Zostererkrankungen bei Jugendlichen und Erwachsenen steigt in dem Maße signifikant an, in dem die Windpocken seltener werden (Thomas 2002, Yih 2005, Patel 2008, Civen 2009, Carville 2010). »Die Windpocken-Impfung hat dazu geführt, dass die Kosten für die Behandlung der Windpocken von 1993 bis 2004 signifikant gesunken sind. Diese Ersparnis war jedoch geringer als der gleichzeitige Anstieg der Behandlungskosten für Gürtelrose« (Patel 2008). Die zusätzlich anfallenden Behandlungskosten werden allein in den USA auf mehr als 4,1 Milliarden Dollar geschätzt – Kosten, die in keine Kosten-Nutzen-Rechnung der Windpockenimpfung einbezogen wurden (Goldman 2005).
Die Impfindustrie – in diesem Fall der US -Alleinvermarkter Merck – steht jetzt schon vor ihrem nächsten Milliardengeschäft, mit dem die Folgen der Windpockenimpfung aufgefangen werden sollen: In den USA und Europa wurde 2006 der hochdosierte Windpockenimpfstoff Zostavax als »Zosterimpfung« zugelassen. Er wird wohl demnächst für alle über Sechzigjährigen empfohlen und soll die Boosterung durch die natürlichen Windpocken ersetzen. Das ist teuer und von fraglicher Wirkung:
»Die Zosterepidemie bei Erwachsenen mit einer Zosterimpfung zu kontrollieren wird wahrscheinlich fehlschlagen, denn Impfprogramme bei Erwachsenen waren selten erfolgreich. Es scheint keinen Weg zu geben, eine Massenepidemie von Zoster unter Erwachsenen zu verhindern, die mehrere Generationen anhalten wird« (Goldman 2005).
Die Wirksamkeit des Windpockenimpfstoffs
Die Impfwirksamkeit wurde in den Zulassungsstudien mit über 95 Prozent angegeben, berechnet aus Antikörperuntersuchungen bei Geimpften. Im Jahr 1995 wurde daraufhin die Impfung für alle Kinder in den USA eingeführt. Der anfängliche Erfolg des Impfprogramms war beeindruckend und ließ die Impfstrategen jubilieren: Die Windpockenerkrankungen gingen in verschiedenen Staaten der USA um über 80 Prozent zurück. In der gleichen »Honeymoonphase« sind wir aktuell in Deutschland: Nachdem mehr als 50 Prozent aller deutschen Kleinkinder gegen Windpocken geimpft werden, ist in 1400 Referenzpraxen die Erkrankungsrate von 2005 bis 2009 um zwei Drittel zurückgegangen (Siedler 2010). In den USA offenbarten sich jedoch schon innerhalb weniger Jahre die großen Schwächen des
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