Impfen Pro & Contra - Das Handbuch für die individuelle Impfentscheidung
mussten zwischen 2005 und 2008 nur 20 Kinder mit nachgewiesener Influenza intensivmedizinisch behandelt werden, davon 18 wegen Komplikationen an der Lunge ( ESPED 2008). In den USA verursacht die Influenza bei Kindern lediglich 8 Prozent der Krankenhausaufnahmen wegen Bronchitis oder Lungenentzündung. Mit 40 Prozent weit in Führung liegen Erkrankungen durch das respiratorische Synzytial-Virus (Moore 2011). Mindestens 200 weitere Viren können grippale Infekte hervorrufen.
Todesfälle durch Influenza sind bei Kindern äußerst selten. Von 2005 bis 2008 wurden in Deutschland nur zwei Fälle erfasst: ein Achtjähriger, der letztlich an einer Pneumokokkensepsis verstarb, und ein Vierzehnjähriger mit einer vorbestehenden Hormonerkrankung, Asthma bronchiale und Herzfehler ( ESPED 2008). In der Saison 2009/10 während der »Schweinegrippe« starben 22 mit Influenza infizierte Kinder auf einer Intensivstation. Die meisten hatten eine schwere neurologische Grunderkrankung ( ESPED 2010).
Die enorm hohe Sterblichkeit der spanischen Grippe 1918/20 war durch bakterielle Superinfektionen bedingt, die heute antibiotisch geheilt werden könnten (Brundage 2008). Die historische Erfahrung wird immer wieder als Argument für Impfkampagnen benutzt. Der Rückgang der Grippesterblichkeit in den letzten 100Jahren ist jedoch nicht der Impfung, sondern den Fortschritten in der Hygiene, der Akuttherapie von Komplikationen und dem Anstieg des allgemeinen Lebensstandards zu verdanken. Der amerikanische Forscher Peter Doshi hat nachgewiesen, dass während der beiden anderen großen Pandemien im vergangenen Jahrhundert, 1957/58 (asiatische Grippe) und 1968/69 (Hongkonggrippe), keine erhöhte Gesamtsterblichkeit mehr zu verzeichnen war (Doshi 2008).
Tom Jefferson, Grippeexperte des unabhängigen Cochrane-Instituts, sagte anlässlich der »Schweinegrippe«: »Ich finde es verrückt, welche Katastrophen uns Jahr für Jahr von den Grippe-Experten vorausgesagt werden. Bislang ist keine von ihnen jemals eingetroffen … Mit den anderen Erregern lässt sich eben kein großes Geld verdienen« (
Spiegel Online,
2009).
Die Influenzaimpfung
Im lukrativen Geschäft mit der Influenza drängelt sich die gesamte Riege der Impfstoffhersteller. In Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es mindestens 20 Impfstoffe von verschiedenen Anbietern. Jeder versucht, sein Produkt als besonders wirksam und gut verträglich auf dem Markt zu positionieren.
Grippeimpfstoffe enthalten abgetötete Influenzaviren und werden jährlich neu zusammengesetzt, um der Wandelbarkeit des Virus nachzukommen und im Antigen dem gerade vorherrschenden Virustyp möglichst genau zu entsprechen. Aktuelle Empfehlungen für die Impfstoffhersteller gibt die WHO meist schon im Frühjahr heraus. Für die Pharmaindustrie ist die Zuverlässigkeit dieser Prognose ein ähnlich großes Problem wie die kurze Zeitspanne, die für die Herstellung der notwendigen Menge von Impfstoffen zur Verfügung steht.
Bei Hühnereiallergikern ist die Impfung nicht ungefährlich: In allen Grippeimpfstoffen finden sich Spuren von Hühnereiweiß. Die meisten Produkte enthalten außerdem Formaldehyd.
Es gibt bisher keine Vergleichsstudien zur Wirksamkeit und Verträglichkeit unterschiedlicher Impfstoffe. Der erst ab dem Alter von 65 Jahren zugelassene Grippeimpfstoff Fluad der Firma Chiron-Behring macht jedoch auffallend häufig unerwünschte Nebenwirkungen, wahrscheinlich wegen des Hilfsstoffs MF 59. Ein Vorteil in der Wirkung ist nicht belegt (
AT
2007, 2010). Auch der nur für Erwachsene zugelassene Impfstoff Intanza, der in die Haut gespritzt wird, hat ein besonders ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis (
AT
2009).
Die günstigste Zusammensetzung scheint derzeit (2012) Inflexal bzw. Infectovac Flu zu haben – ein Produkt ohne Formaldehyd und ohne MF 59. Als Hilfsstoff enthält er Virosomen, über deren Sicherheit noch nicht viel bekannt ist. Im Kindesalter führt der Impfstoff häufig zu fieberhaften Reaktionen. Der italienische Hersteller Crucell musste deswegen auf dem Beipackzettel einen Warnhinweis einfügen. In einem Schreiben an alle Ärzte empfahl er, bei Kindern auf andere Grippeimpfstoffe auszuweichen. Erst zwei Jahre zuvor hatte Crucell eine Studie in 26 deutschen Kinderarztpraxen durchgeführt, bei der dem Impfstoff hohe Sicherheit und gute Toleranz bescheinigt worden war (Künzi 2009).
An wirksameren Impfstoffen wird gearbeitet. Dies läuft jedoch wahrscheinlich auf die riskante
Weitere Kostenlose Bücher