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Impfen Pro & Contra - Das Handbuch für die individuelle Impfentscheidung

Impfen Pro & Contra - Das Handbuch für die individuelle Impfentscheidung

Titel: Impfen Pro & Contra - Das Handbuch für die individuelle Impfentscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Hirte
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damit für alle Zukunft überflüssig machen würde.
    Durch großangelegte Impffeldzüge in allen Teilen der Welt gingen die Erkrankungszahlen tatsächlich innerhalb von 15Jahren dramatisch auf wenige tausend pro Jahr zurück. 2001 erkrankten nur noch 537 Menschen an Polio, hauptsächlich in Indien, Afghanistan, Pakistan und Nigeria. Das entsprach einer Verminderung von 99,8 Prozent seit 1988. Der Zeitpunkt des Verschwindens der Krankheit schien nahe zu sein. 1989 wurde Europa von der WHO als frei von Polio erklärt, ebenso wie zuvor schon Nord-, Mittel- und Südamerika und der westpazifische Raum.
    Im Jahr 2004 wurden jedoch in zehn Ländern Afrikas wieder Erkrankungsfälle registriert. 2005 folgten Jemen, Indonesien und Somalia. Ursachen der erneuten Ausbreitung der Polio waren politische Unruhen, Bürgerkriege und islamische Impfgegner in Nigeria ( WHO 2004). Im Jahr 2005 wurden daraufhin in einer gigantischen Kraftanstrengung weltweit 400 Millionen Kinder geimpft – ohne großen Erfolg, da weiterhin jährlich 1000 bis 2000 Poliofälle bekannt wurden.
    Pakistan, Afghanistan und Nigeria sind die hartnäckigen Hauptreservoire des Erregers, und von dort kommt es regelmäßig zu einem Überschwappen in die Nachbarregionen. Auch 2010 und 2011 wurde Polio wieder aus mehreren afrikanischen Ländern gemeldet (Angola, Burkina Faso, Guinea, die beiden Kongos, Liberia, Mali, Mauretanien, Niger, Senegal, Sierra Leone, Tschad, Uganda), und quasi aus dem Nichts breitete sich die Kinderlähmung 2011 mit über 400 Erkrankungsfällen in Tadschikistan aus, wahrscheinlich verursacht durch Migranten aus dem afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet ( WHO 2011). Eine positive Nachricht ist immerhin, dass seit Anfang 2011 in Indien, einem der Hauptproblemgebiete, keine Poliofälle mehr bekannt wurden.
    Die für internationale Eilaktionen notwendigen finanziellen und logistischen Ressourcen sind gewaltig. Sie können dadurch andere Präventionsprogramme gefährden und werden in ihrer Nachhaltigkeit immer mehr in Frage gestellt (Razum 2002). Inzwischen fragen sich auch führende Experten, ob die Ausrottung der Kinderlähmung überhaupt zu realisieren ist oder ob man das Geld nicht besser in sanitäre und hygienische Maßnahmen investieren sollte (Henderson 2002, Kalra 2008).
    Hindernis für die Ausrottung ist einmal die Tatsache, dass mit dem Stuhl ausgeschiedene Impfviren in Abwasserkanälen und Flüssen »auswildern« (rückmutieren) und Epidemien verursachen können, so wie es im Jahr 2000 in Haiti und der Dominikanischen Republik geschehen ist (Kew 2002). Die Fortführung der Schluckimpfung stellt dadurch die angestrebte Ausrottung der Kinderlähmung in Frage. Das zweite Hindernis ist die Tatsache, dass immungeschwächte Personen das Impfvirus über mehr als zehn Jahre mit dem Stuhl ausscheiden können (Fine 1999). Das bedeutet, dass Impfprogramme nach Verschwinden des Wildvirus noch über Jahrzehnte fortgesetzt werden müssen, um zu verhindern, dass die freigesetzten Impfviren zu Polioausbrüchen führen.
    Impfviren können auch bereits im Darm einer geimpften Person wieder »verwildern« und eine Lähmungskrankheit hervorrufen, die sogenannte »impfassoziierte Poliomyelitis«. Diese gravierende Nebenwirkung der Schluckimpfung hat eine Häufigkeit von 1:700000. In Deutschland wurden zwischen 1977 und 1997 31 Impfpolioerkrankungen gemeldet. In den neunziger Jahren gab es in Europa und den USA bereits mehr Impfpoliofälle als »echte« Polioerkrankungen. Es häuften sich sogar Berichte über Impfpolio bei Menschen, die sich bei Impflingen mit dem Virus infiziert hatten (Kontaktpoliomyelitis). Daher wurde empfohlen, immer alle Mitglieder einer Familie gleichzeitig zu impfen. Unter den Ärzten entstand große Unsicherheit über die Größe des Risikos einer Kontaktpoliomyelitis und darüber, wie erschöpfend die Aufklärung vor der Schluckimpfung auszusehen hatte.
    Ein weiteres Problem der Polioimpfung lag im Herstellungsprozess begründet: Das Impfvirus wurde auf Affennieren-Zellkulturen angezüchtet, und es war nicht zu verhindern, dass Viren aus den Zellkulturen in den Impfstoff gelangten. Der Polioimpfstoff durfte etwa in den USA auch dann noch in den Verkehr gelangen, wenn bis zu 100 Fremdviren pro Impfdosis nachweisbar waren. Noch 1976 ließen sich im Polioimpfstoff der Firma Lederle bis zu 10000 Affenviren pro Dosis nachweisen (Kyle 1992). Zwischen 1953 und 1963 wurden auf diesem Weg zehn bis 30 Millionen US -Amerikaner und

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