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Impfen Pro & Contra - Das Handbuch für die individuelle Impfentscheidung

Impfen Pro & Contra - Das Handbuch für die individuelle Impfentscheidung

Titel: Impfen Pro & Contra - Das Handbuch für die individuelle Impfentscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Hirte
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1998
    WHO (World Health Organization): The Immunological Basis for Immunization Series, Module 2: Diphtheria. Update 2009. http://whqlibdoc.who.int/publications/2009/9789241597869_eng.pdf (Zugriff 20.11.2011)

Polio
    Die Polioerkrankung
    Polio oder Kinderlähmung wird durch ein Virus aus der Familie der RNS -Viren hervorgerufen. Es wird von Mensch zu Mensch über Schmierinfektion übertragen. Infektiös ist hauptsächlich der Stuhl von Virusträgern. Über Mund oder Nase aufgenommen, vermehrt sich das Virus im Verdauungstrakt oder im Lymphsystem, kann von hier aus in den Blutkreislauf eindringen und dann Nervenzellen im Rückenmark befallen.
    In den allermeisten Fällen verläuft die Infektion völlig symptomlos. 5 Prozent der Infizierten erkranken mit grippeartigen Symptomen und Durchfällen
(minor illness)
. Nur bei einem von 200 Infizierten kommt es zur Polioerkrankung
(major illness)
mit Muskelsteife, Muskelschmerzen und schließlich Lähmungen, die sich teilweise nicht zurückbilden und eine lebenslange Behinderung zur Folge haben können. Auch Todesfälle durch Lähmung der Atemmuskulatur kommen vor. Eine ursächliche Behandlung der Erkrankung gibt es nicht. Die Erfolge alternativer Heilmethoden wie Homöopathie sind wissenschaftlich nicht belegt.
    In früheren Zeiten kam es wegen der schlechteren hygienischen Verhältnisse meist schon im frühen Säuglingsalter zum ersten Kontakt mit dem Poliovirus. Die Kinder hatten jedoch in diesem Alter durch mütterliche Antikörper noch einen Schutz vor der Erkrankung. Die eigene Antikörperbildung setzte schleichend ein und wurde durch häufigen Viruskontakt immer wieder aufgefrischt. Es kam daher nur selten zu Polioausbrüchen (Atkinson 1998).
    Durch steigenden Lebensstandard und vor allem bessere sanitäre und hygienische Verhältnisse wurde der Kontakt mit dem Poliovirus seltener, und immer weniger Menschen entwickelten in der frühen Kindheit schützende Antikörper. Dies war die Voraussetzung für epidemieartige Krankheitshäufungen, wie sie seit dem 19. Jahrhundert beobachtet wurden. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich Polio zu einer gefürchteten Erkrankung mit Seuchencharakter. 1952 registrierte man in den USA 22000 Fälle von Kinderlähmung (Linda 1999). In Deutschland gab es in der gleichen Zeit jährlich 3500 bis 9500 Polioerkrankungen (Sitzmann 1998). 80 bis 90 Prozent der Betroffenen waren unter fünfjährige Kinder – daher der Name »Kinderlähmung« –, meist aus sozioökonomisch bessergestellten Bevölkerungsgruppen in den Städten.
    Die Polioimpfung
    Mitte der fünfziger Jahre führte man zunächst einen Impfstoff mit abgetöteten Polioviren ( SALK ) ein, der gespritzt wurde und die Antikörperbildung im Blut anregte. Das Herstellungsverfahren war jedoch nicht ausgereift. 1955 kam es durch einen nicht genügend inaktivierten Impfstoff in den USA zum sogenannten »Cutter-Unglück«, benannt nach dem Impfstoffhersteller: 250 Menschen erkrankten nach der SALK -Impfung an Kinderlähmung, elf von ihnen starben. 1960 infizierten sich bei einem ähnlichen Zwischenfall in Berlin 25 Menschen mit Kinderlähmung (Beale 1992).
    Ab 1962 etablierte sich dann die Schluckimpfung nach dem Bakteriologen Albert Sabin, bei der drei abgeschwächte Poliovirusstämme oral verabreicht wurden. Dies führte im Gegensatz zur Impfung mit abgetöteten Erregern auch auf der Darmschleimhaut zur Antikörperbildung und verhinderte dadurch, dass Geimpfte das Wildvirus im Darm tragen, ausscheiden und andere damit anstecken. Das Impfvirus begann sogar, in der Bevölkerung zu zirkulieren, die Ungeimpften zu »infizieren« und ihnen damit Schutz zu verleihen.
    Die Schluckimpfung hatte auch den Vorteil, dass sie leicht zu verabreichen war: »Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist bitter.« Sie war sehr effektiv und führte in Deutschland zu einem Rückgang der Kinderlähmung auf etwa 60 Fälle pro Jahr in den späten sechziger Jahren und nur noch einzelne Erkrankungen in den siebziger Jahren (Weise 1984). Der letzte einheimische Poliofall wurde 1990 gemeldet. Bis 1993 registrierte man nur drei im Ausland erworbene Fälle. Seitdem ist die Polio bei uns verschwunden.
    Bereits 1988 hatte die Weltgesundheitsorganisation ( WHO ) ein Programm gestartet mit dem Ziel, die Polioerkrankung ganz auszurotten. Die Initiatoren hofften, dass man die Krankheit – ähnlich wie kurz zuvor die Pocken – durch weltweite Massenimpfungen zum Verschwinden bringen könnte und die Impfung

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