In aller Unschuld Thriller
sagte Dempsey. »Und es ist erst der Anfang.«
»O mein Gott«, flüsterte Carey.
Dahls Augen waren halb geschlossen, sein Mund stand offen. Er bewegte sich nicht. Sie hätte nicht sagen können, ob er noch atmete. Überall war Blut, es sah aus, als hätte ihm jemand literweise rote Farbe über den Kopf gekippt.
»O Gott.«
Das war es, was Stan Dempsey unter Gerechtigkeit verstand. Ihr Magen revoltierte, und sie beugte sich vor, würgte, ihr Inneres wollte wieder loswerden, was sie gerade gesehen hatte.
»Das ist Gerechtigkeit!«, rief Dempsey und beugte sich über sie. »Das ist Gerechtigkeit!«
Jetzt oder nie …
Carey hob abrupt den Kopf und ließ ihn gegen Dempseys Kinn krachen. Er wich einen Schritt zurück, richtete sich auf. Carey wirbelte zu ihm herum und stieß mit der rechten Hand mit aller Kraft zu. Das Messer glitt so leicht in seinen Bauch, dass sie entsetzt zusammenzuckte.
Dempsey knickte in der Mitte ein und taumelte nach hinten, löste sich von dem Messer, das Carey noch immer in der Hand hielt. Er wirkte überrascht. Das war nicht Teil seines Plans gewesen.
Er legte die linke Hand auf die Stelle, an der das Messer in seinen Körper gedrungen war. In der rechten Hand hielt er nach wie vor die Pistole, aber sie hing schlaff herunter, als hätte er vergessen, dass sie da war.
»Sie haben mich umgebracht«, sagte er anklagend. »Ich wollte Sie nicht umbringen.«
Carey stand da und starrte ihn an, entsetzt, unfähig, sich zu rühren.
Ohne Vorwarnung stürzte sich Dempsey auf sie.
Carey war zu langsam, taumelte zurück, verlor das Gleichgewicht und fiel über das Geländer. Stan Dempsey fiel mit ihr. Er landete auf ihr und presste ihr die Luft aus der Lunge. Sie versuchte sich zu bewegen, aber es ging nicht.
Dempsey stöhnte und versuchte aufzustehen. Carey spürte, wie sein Blut, warm und nass, ihr Hemd durchtränkte.
Voller Panik begann sie, rückwärts zu krabbeln wie ein Krebs, um unter ihm hervorzukriechen. Dempsey richtete sich auf Händen und Knien auf. Nach Atem ringend und blind vor Tränen rollte Carey sich herum, sprang auf und rannte los, angetrieben vom Adrenalin, das durch ihre Adern pumpte wie Hochleistungssprit.
Sie rannte zur Straße, hatte jegliche Kontrolle über ihren Körper verloren, er schien sich schneller vorwärtszubewegen, als ihr Verstand oder ihre Beine ihm folgen konnten. Als würde sie einen steilen Hügel hinunterlaufen.
In ihrem Rücken knallte ein Schuss.
Sie stürzte, als hätte ihr jemand von hinten die Beine weggezogen, und landete hart auf dem Boden, überschlug sich zweimal. Kies grub sich in ihre Handflächen, ihre Ellbogen, ihr Kinn.
Schließlich blieb sie liegen, reglos, verkrümmt.
Vage registrierte sie, dass es zu regnen begann.
63
Sie schalteten Blaulicht und Sirene aus, als sie sich der Straße näherten, die laut Tippen zu dem Munitionslager führte. Kovac ging sogar mit der Geschwindigkeit herunter, auch wenn es ihn eigentlich danach drängte, noch schneller zu fahren. Seit Careys Anruf war eine halbe Stunde vergangen. In einer halben Stunde konnten alle möglichen furchtbaren Dinge geschehen.
»Karl Dahl wird in die Annalen der Kriminalpsychologie eingehen«, sagte Tippen, als sie die schmale, wenig befahrene Straße entlangkrochen. »Er bringt zwei Frauen um, um die einzige Frau zu entführen, die ihm seit wer weiß wie langer Zeit etwas Gutes getan hat. Wenn man sich in den finsteren Windungen seines Hirns auf die Suche nach einem Motiv macht, ist das vermutlich so, als wollte man die Hölle erforschen.«
Kovac erwiderte nichts darauf. Es war ihm egal, aus welchem Grund Karl Dahl etwas tat. Es zählte einzig und allein, dass er es getan hatte. Er hatte Anka Jorgenson umgebracht. Er hatte Christine Neal umgebracht. Er hatte Marlene Haas und ihre beiden Pflegekinder umgebracht. Und jetzt hatte er Carey in seiner Gewalt.
»Es ist da vorne links«, sagte Tippen. »Wie sieht dein Plan aus?«
»Welcher Plan?«
»Toll. Und was soll ich der Verstärkung und dem Krankenwagen sagen?«, fragte Tippen. »Wir können nicht wie die Kavallerie da reinstürmen und wild um uns ballern.«
Genau das hätte Kovac jedoch am liebsten gemacht. In das Haus einfallen wie ein Sturmtrupp. Aber sie durften kein Risiko eingehen. Wenn sie zu ungestüm vorgingen und Dahl sich in die Ecke gedrängt fühlte, war nicht vorherzusehen, was er tat. Dann hatten sie es mindestens mit einer Geiselnahme zu tun. Wenn sie dagegen unbemerkt eindrangen, sich einen
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