In aller Unschuld Thriller
Moore sagte nichts, sondern starrte bloß auf ihre Hände. Kovac nahm ihr Schweigen als Einwilligung.
»Schön, dass Sie Ihren gesunden Menschenverstand nicht vollständig verloren haben«, brummte er.
»Dasselbe lässt sich von Ihnen leider nicht behaupten, Detective, sonst würden Sie nicht so mit mir umspringen«, sagte sie.
Kovac seufzte. »Wie denn? Ich gehe mit Ihnen keinen Deut anders als mit sonst jemandem um.«
»Das erklärt vermutlich, warum Sie nicht längst befördert worden sind.«
»Möglich«, gab er zu. »Aber im Gegensatz zu anderen Leuten geht es mir bei dem, was ich tue, nicht darum, Karriere zu machen. Mir geht es darum, die Bösen hinter Schloss und Riegel zu bringen.«
6
Liska lenkte die Presseleute, die sich im Wartezimmer aufhielten, mit einer kurzen Erklärung und vielen »Kein Kommentar« und »Dazu kann ich zum derzeitigen Zeitpunkt noch nichts sagen« ab.
Kovac schob Carey Moore in einem Rollstuhl durch ein Labyrinth von Gängen zu einem selten genutzten Ausgang, zu dem ein Pfleger seinen Wagen gebracht hatte. Die Richterin sagte kein Wort, als er ihr auf den Beifahrersitz half und sich nicht viel später in den fließenden Verkehr einfädelte.
»Wo wohnen Sie?«, fragte er.
Sie nannte ihm die Adresse in demselben knappen, sachlichen Ton, den sie wahrscheinlich auch jedem Taxifahrer gegenüber gebrauchte. Ihr Haus lag unweit von Downtown und gleichzeitig Welten davon entfernt am Lake of the Isles, in einem Viertel mit großen, herrschaftlichen Häusern. Er hatte zehn, höchstens fünfzehn Minuten, um etwas Brauchbares aus ihr herauszuholen.
»Sie werden morgen furchtbare Kopfschmerzen haben«, sagte er.
Sie starrte weiter geradeaus. »Ich habe jetzt schon furchtbare Kopfschmerzen.«
»Sie glauben nicht, dass sich der Angriff gegen Sie persönlich gerichtet hat?«
»Jeder körperliche Angriff ist persönlich, oder nicht?«
»Sie wissen, was ich meine. Sparen Sie sich die juristischen Haarspaltereien fürs Gericht auf, Richterin. Sie haben genug Berufserfahrung, um den Unterschied zu kennen.«
»Ach, Sie glauben also nicht, dass Juristen zu abgestumpft und egomanisch sind, um zu bemerken, dass nicht alle Polizisten geistig behindert sind?«
Kovac warf ihr einen Blick zu. Jedes Mal, wenn sie an einer Straßenlaterne vorbeifuhren, strich das harte weiße Licht über ihr gespenstisch bleiches Gesicht.
»Zwischen der Verbreitung der Nachricht über meine Entscheidung und meinem Verlassen des Gebäudes lag wohl kaum genug Zeit, damit ein erboster Bürger den Plan, mich zu töten, ausarbeiten konnte«, sagte sie.
»Unterschätzen Sie niemals die Fähigkeiten eines zu allem entschlossenen Arschlochs.«
»Diesen hübschen Satz werde ich am Wochenende auf ein Kissen sticken, während ich mich erhole.«
»Es war bekannt, dass Sie heute über die Zulassung des Vorstrafenregisters von Karl Dahl entscheiden würden. Vielleicht hatte jemand schon mit dem Schlimmsten gerechnet. Ich habe das jedenfalls.«
»Ach ja? Und wo waren Sie zwischen sechs Uhr dreißig und sieben Uhr, Detective Kovac?«
»Da habe ich eine Menge beschissenen Papierkram in einem Fall von Körperverletzung erledigt, den Sie nächste Woche womöglich niederschlagen werden.«
»Wenn Sie nicht gut gearbeitet haben, werde ich das wohl tun«, sagte sie.
»Wollen Sie damit sagen, dass Stan Dempsey bei den Haas-Morden nicht sorgfältig genug ermittelt hat?«
»Ich will damit sagen, dass meine Arbeit komplizierter ist, als Sie offensichtlich glauben wollen. Ich fälle keine Entscheidung aus einer Laune heraus. Die Aufgabe eines Richters besteht nicht darin, die Fälle, die Polizei und Staatsanwaltschaft vor Gericht bringen, durchzuwinken. Den Luxus, parteiisch zu sein, kann ich mir nicht mehr leisten.«
Sie hielt ihren Zorn in Schranken, gerade noch. Man konnte es ihrer Stimme anhören. Er war Zeuge in Prozessen gewesen, bei denen sie als Staatsanwältin aufgetreten war. Kühl, kontrolliert, aber unter der ruhigen Oberfläche scharf und aggressiv. Es war ein Genuss gewesen, ihre Auftritte mitzuerleben. Aufregend sogar. Und dass sie eine attraktive Frau war, hatte auch nichts geschadet.
Sie hatte ihr Aussehen einzusetzen gewusst, sehr subtil und geschickt. Reihenweise waren die Männer im Zeugenstand darauf hereingefallen und auseinandergenommen worden, ohne zu wissen, wie ihnen geschah.
»Glauben Sie tatsächlich, dass der Mord an Marlene Haas und den beiden Kindern mich nicht berührt?«, fuhr sie ihn an.
Weitere Kostenlose Bücher