In aller Unschuld Thriller
verstört.
»Anka, ich möchte Sie etwas sehr Persönliches fragen«, sagte Kovac. »Und ich möchte, dass Sie mir ehrlich antworten. Es ist wichtig, dass ich einen genauen Eindruck davon bekomme, was hier vor sich geht. Verstehen Sie mich?«
»Ja«, sagte sie nervös, beunruhigt.
»Haben Sie etwas mit Mr. Moore?«
Kovac beobachtete sie genau. Sie wirkte schockiert und beleidigt.
»Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen«, erklärte sie. »Mr. Moore ist mein Arbeitgeber.«
»Mehr ist er nicht für Sie?«
»Nein, natürlich nicht.«
Die Antwort kam ein wenig zu langsam, und sie blickte ihm dabei nicht in die Augen.
»Sie schlafen also nicht mit ihm?«
Sie schnappte nach Luft. »Nein! Ich gehe jetzt nach oben in mein Zimmer. Ich habe Ihnen nichts mehr zu sagen. Guten Tag.«
Empört. Verärgert.
Aber sie hatte ihm nicht in die Augen gesehen.
21
Dahl stieg am Calhoun Square aus dem Bus aus. Er befand sich jetzt in einem angesagten Viertel von Minneapolis, das Uptown genannt wurde, auch wenn es südlich von Downtown lag. Die Straßen mit den hohen Bäumen waren gesäumt von hübsch renovierten alten Häusern in gepflegten Gärten. Hier lebten gut situierte junge Familien, gut verdienende schwule Paare und wohlhabende Rentnerehepaare. Leute wie Karl Dahl waren hier ein seltener Anblick, aber das war ihm egal.
Er betrat das Einkaufszentrum am Calhoun Square, eine Ansammlung von Boutiquen und Restaurants in einem alten Ziegelbau, in dem sich einst eine Fabrik befunden hatte. Ein gelangweilt aussehendes Mädchen in einem Kiosk im Erdgeschoss beobachtete ihn mit einer Mischung aus Ekel und Beklommenheit. Beim Näherkommen erwartete Dahl, dass sie jeden Augenblick die Flucht ergreifen würde, aber er ließ sich davon nicht abhalten, hielt ihr einen Zwanzig-Dollar-Schein entgegen und sagte, dass er eine Mütze bräuchte.
Sie musterte den Zwanziger argwöhnisch, und die Geldgier gewann die Oberhand über die Furcht. Sie verkaufte ihm eine schlichte khakifarbene Baseballkappe und vergaß, ihm sein Wechselgeld zu geben.
Als er sich auf den Weg zur Männertoilette machte, warf er einen Blick über die Schulter und sah, wie sie den Schein in ihrem Portemonnaie verschwinden ließ. Die um sich greifende Unehrlichkeit der Leute ließ ihn den Kopf schütteln.
Er trat in die Toilette und nahm die Kappe, um sie gegen die Haarsträhnen und die Strickmütze des Penners auszutauschen.
Da es noch früh am Morgen war, war er der Einzige im Raum; deshalb beschloss er, die Gelegenheit zu nutzen und sich Gesicht und Kopf zu waschen.
Es tat weh, die Mütze abzunehmen. Die Wolle klebte an der blutigen Kopfwunde fest, die er dem Nazi zu verdanken hatte. Als er die Mütze vorsichtig davon zu lösen begann, platzte die Wunde an mehreren Stellen auf und fing wieder an zu bluten. Er starrte sich im Spiegel an und dachte, dass er Furcht erregend aussah, ein rotäugiger Dämon, der direkt aus der Hölle zu kommen schien. Seine Lippe pochte. Sie war grotesk geschwollen und rot angelaufen und erinnerte ihn an die Falten weichen Fleisches zwischen den Beinen einer Frau.
Einen kurzen Moment lang meinte er, den moschusartigen Geruch einer erregten Frau riechen zu können. Er genoss diesen Moment. Dann zog er seine Zahnbrücke aus der Hosentasche, spülte sie unter dem Wasserhahn ab und steckte sie sich wieder in den Mund. In diesem Viertel gab es wahrscheinlich nicht besonders viele Leute, die ohne Zähne herumliefen.
Dann setzte er die Baseballkappe und die Sonnenbrille auf.
Sorgfältig krempelte er die Ärmel seines Hemdes bis zu den Ellbogen hoch. Wegen der verdreckten Hose konnte er nichts machen, außer sie an den Beinen umschlagen. Er streifte Schuhe und Socken ab, warf die Socken in den Abfalleimer und zog die Schuhe wieder an. Das musste fürs Erste genügen.
Er schob sich den Schirm der Kappe tief ins Gesicht, verließ die Toilette und das Gebäude und nahm seinen Gang durch das Viertel wieder auf. Wie er so mit den Händen in den Hosentaschen dahinschlenderte, wirkte er wie ein Mann, den keinerlei Sorgen plagten. Als ginge er von einem Besuch im Café nach Hause. Oder als habe er ein wenig im Garten gearbeitet und deshalb seien seine Hosen so verschmutzt.
Während er die Straße entlangging, musterte er die Häuser auf seiner Seite. Fahrräder auf der Veranda bedeuteten, dass mehrere Leute in einem Haus lebten. Ein Paar oder eine Familie. Er hielt nach kleineren Häusern Ausschau – einstöckige Häuser oder
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