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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy McNamara
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schweren goldenen Zopf hoch, den sie seitlich geflochten trägt Mary schickt noch ein entschuldigendes Lächeln in unsere Richtung, sie scheint zu denken, sie habe uns gestört, dann zieht sie einen neonblauen Mantel mit Knebelknöpfen über.
    Für einen Moment füllt sich das Atelier mit kalter Luft, so als hätte es einen tiefen Atemzug getan, dann schließt sich die schwere Tür hinter den beiden.
    Dad guckt auf den Platz, an dem sie gerade noch standen, dann dreht er sich wieder zu mir, setzt sich und bedeutet mir, das auch zu tun. Er entkorkt eine Flasche Wein und füllt zwei etwas schlierige Gläser mit der dunkelroten Flüssigkeit.
    »Nimmst du auch einen Schluck?«
    Er schickt mich zurück in die Stadt, das ist ganz sicher. Kann nicht anders sein. Meine Psyche fängt an, Rabatz zu machen. Ich geh nicht. Noch nicht. Ich finde schon irgendeine Lösung. Das muss ich.
    Bevor ich Ja oder Nein sagen kann, hat er das Glas zu mir rübergeschoben. Hat keinen Zweck, ihn drauf hinzuweisen, dass so was in meinem Alter ungesetzlich ist oder viel zu früh am Tag. Wir sind im Atelier. Dads Reich. Er ist das Gesetz.
    »Deine Mutter hat mit mir Kontakt aufgenommen, sie hat mir gemailt«, sagt er.
    »Mein Beileid.« Ich bin sarkastisch.
    »Nicht fies werden. Du weißt, was ich von geheuchelten Gefühlen halte.«
    An meinen Gefühlen ist nichts Geheucheltes, aber das erkläre ich ihm nicht.
    »Ich hab nie von dir verlangt, mehr zu sein, als du bist«, sagt er.
    Mein Herz wird schwer. Jetzt kommt’s.
    »Was im Mai passiert ist, und zwar alles, war furchtbar für dich. Ich weiß, du wolltest Zeit haben, herkommen und dich neu sortieren. Und du bist hier willkommen, das weißt du.«
    Ich zwinge ein paar Bissen Salat runter und einen kleinen Schluck Wein. Schmeckt staubig, ist stark.
    Eine Weile sagt er nichts, probiert den Salat. Dad weiß, wie man ein Publikum in Bann hält. Ich beobachte den Schnee, der über unseren Köpfen aufs Oberlicht fällt. Ich kann nicht essen. Jetzt nicht. Nicht, bis ich weiß, worauf das hier hinausläuft. Noch ein Schluck Wein. Wie ruhige Wärme bewegt er sich durch mich hindurch.
    Dad räuspert sich und seufzt. »Wenn du mir sagst …« Er legt die Gabel hin, wischt sich den Mund ab.
    »Wenn du mir sagst, dass mit dir alles in Ordnung ist, dass du aber noch etwas mehr Zeit brauchst, um dich zu sortieren, dann sag ich ihr, sie soll dich in Ruhe lassen.«
    Er faltet die Serviette, legt sie neben seinen Teller, als würde er ein bedeutendes Ritual vollziehen, einen Ritus der Verbesserung.
    »Aber sie ist besorgt.« Er mustert mich. » Wir sind besorgt. Sie ist fest davon überzeugt, dass es dir hier nicht besser geht … dass du dich in eine falsche Richtung entwickelst.«
    Ein Seufzer. Er sieht mich an, als könnte er eine neue Wahrheit aus mir herausstarren.
    »Deine Mutter fürchtet, dass du zu isoliert lebst … dass du dir eventuell … Schaden zufügen könntest.« Er macht eine Pause. »Selbstverständlich weiß ich, dass das nicht der Fall ist, und das habe ich ihr auch gesagt, aber …«
    Das liebe ich an meinem Dad. Er fackelt nicht lange. Lässt einen nicht erst mit einer Idee warm werden. Der Wein wallt wie eine moosbewachsene Wand auf zwischen mir und dem, was er sagt.
    »Was muss ich tun, Dad?« Ich ignoriere seine Worte. »Ich geh nicht zur Uni. Noch nicht. Und wahrscheinlich auch nicht nach Amherst. Ich weiß nicht mal, ob ich noch auf die Kunsthochschule möchte. Oder was ich überhaupt will.«
    »Wir verlangen nicht von dir, dass du mit der Uni anfängst.«
    »Störe ich dich?«, sage ich dich. »Wenn ich hier bin? Ist es zu schwierig für dich zu arbeiten, wenn ich da bin?«
    Sein Gesicht wirkt einen Moment lang traurig. Geräuschvoll lehnt er sich auf seinem Stuhl zurück und fährt sich mit den Fingern durchs volle weiße Haar. Als er die Hand wegzieht, steht es hoch. Wie ein Schwanenflügel. Er schaut auf seinen Handrücken.
    »Ich bemerke ja kaum, dass du da bist«, sagt er leise. »Du bist so still. Ich respektiere deine Privatsphäre. Der Himmel weiß, dass ich es hasse, wenn man mir erzählt, wie ich zu leben habe. Ich vertraue dir, deshalb habe ich gesagt, du könntest hierherkommen.«
    »Aber … was?«
    »Aber ich glaube, sie hat recht. Du musst etwas tun. Ich finde nicht, dass du die Tage weiterhin schlafend oder durch die Wälder joggend verbringen solltest. Das reicht nicht …«
    »Aber wenn ich an irgendeinem Kunstprojekt arbeiten würde, dann wäre das in Ordnung,

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