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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy McNamara
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oder? Wenn ich sagen würde, ich mache Notizen für irgendwas, will was schreiben oder Fotos machen …?« Ich bin defensiv. »Du willst mir nicht vorschreiben, wie ich leben soll, aber dir ist trotzdem nicht wohl dabei, dass ich nicht so lebe, wie du es dir vorstellst.«
    Er antwortet nicht. Ich habe recht und er weiß es. Er faltet seine Serviette auseinander und isst seinen Salat auf.
    Ich starre auf meinen Teller. Zwinge einen Bissen in meinen Mund, damit er mir nicht vorwerfen kann, nicht zu essen.
    »Dad, ich weiß nicht, was du sagen willst. Was muss ich tun?«
    Ich versuche, meine Stimme ruhig zu halten, aber Panik überfällt mich, ich will hier raus. Ich würde gehen, wenn ich wüsste, wohin. Ich hasse es, ihr Grund zur Sorge zu sein. Als ich aufgehört hatte zu reden, haben sie mich für ein paar Sitzungen zu einem Seelenklempner gegeben, dafür gesorgt, dass ich Antidepressiva nehme. Ich habe mir alles angehört, was sonst wer zum Thema Verlust und Trauer und die Schuld der Überlebenden zu sagen hatte. Hat alles nichts gebracht. Bringt nichts. Das sind nur Worte. Und die fallen wie Schnee. Aber ich muss sie mir anhören. Weil ich nicht frei bin. Meine Eltern haben immer noch das Sagen und sind sich jetzt beängstigend einig. Noch eine Last auf meiner Brust. Ich will weg von Lasten, davon, dass Leute mich brauchen, um nicht von mir enttäuscht zu werden. Aber wo kann ich denn sonst hingehen? Ich hab keinen anderen Zufluchtsort.
    »Ich dachte, wenn ich hierherkomme, wäre es anders.« Meine Stimme schwankt. »Ich könnte über mich selbst bestimmen. Auf meine Art mit allem fertigwerden. Bis ich wieder okay bin. Oder nicht. Jetzt sagst du, ich muss etwas tun, wenn ich bleiben will?«
    »Sieh mal«, fängt er wieder an. »Du hast recht. Ich sag dir, wie du leben sollst. Aber ich verlange nicht viel, Wren. Tu einfach irgendwas .«
    »Was denn?« Ich schau in meinen Schoß. Benommen. Das muss das erste Mal in meinem Leben sein, dass er mich bittet, etwas zu tun. Es ist, als würde er gegen eine geheime Übereinkunft zwischen ihm und Mom verstoßen. Er ist der Störenfried, sie die Zuchtmeisterin. Und nicht andersrum.
    »Lucy Shepherd … in der Bibliothek. Sie ist eine Freundin von Zara und mir. Sie sagt, sie kann dich da gebrauchen. Ein leichter Job. Morgens. Ein paar Stunden täglich.«
    Er lässt seine Serviette auf den Teller fallen und lehnt sich wieder auf seinem Stuhl zurück. Das verwitterte Holz knarrt.
    Ich lege das Gesicht in die Hände. Die Bibliothek. Ich werde mit Leuten umgehen müssen, mit dieser Lucy.
    Er räuspert sich, schaut mich kurz an und dann nach rechts, als wollte er seine Gedanken sammeln.
    »Ein junger Mann hat ein paar Mal angerufen und nach dir gefragt, der Sohn von meinem Architekten. Er sagt, ihr seid euch begegnet. Mary hat mit ihm geredet.«
    Er hustet, nimmt noch einen Schluck Wein. »Er könnte drüben bei sich zu Haus ab und zu Hilfe gebrauchen, er würde dich einstellen, hat er gesagt.«
    Cal. Kommt nicht infrage. Ich sterbe innerlich.
    »Triff dich mit ihm. Greif ihm unter die Arme. Gib mir irgendwas, das ich deiner Mutter erzählen kann, damit sie uns beide mit dieser Sache in Ruhe lässt. Okay?«
    Ich lasse die Hände sinken und schaue wieder hoch, durchs Oberlicht. Schneit noch immer. Wie still er ist, dieser Schnee. Ich werde weglaufen, den Daumen rausstrecken auf der Landstraße. Kanada vielleicht.
    Er langt über den Tisch und drückt mein Kinn nach unten, sodass ich ihm ins Gesicht sehen muss. »Ich verlang nicht viel, Kiddo«, sagt er.
    Ich guck wieder weg. Er hat keine Ahnung.
    »Gib uns irgendwas an die Hand. Irgendein Zeichen, damit wir wissen, dass du okay bist. Mach das, dann fällt mir schon ein, wie ich sie zurückpfeifen kann.«
    Wieder Tränen, eine wirklich nervtötende Entwicklung. Ich blinzele sie weg, mache mich innerlich hart. Mir ist heiß vor Scham. Meine Eltern managen mich. Ich bin ein erbärmliches Wesen.
    Ich versuche, durch die Nase zu atmen, nicht nach Luft zu schnappen wie ein Fisch auf dem Trockenen. Ich werde tun, was sie wollen, mich anpassen, hab keine Wahl. Ich werde mein Herz wieder zu Stein verwandeln, meinen kleinen Job machen, dann nach Haus kommen, im Bett liegen, beobachten, wie sich die Wipfel wiegen.
    Mein Vater lehnt sich über den Tisch und legt mir die kratzigen Hände an die Wangen. Er schaut mich an, als ob er meine Gedanken auf einem Bildschirm beobachtet hätte. »Wren«, sagt er, »es tut mir leid.«

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