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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy McNamara
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Dad extralange zum Abschied umarmen. Er hat Angst wegzufahren, das merke ich. Hab deswegen Schuldgefühle. Sogar Mary umarmt er.
    Auf dem Heimweg ist sie still. Macht Musik an. Ich bin erleichtert. Mein Nickerchen hat mich bei Weitem nicht genug gestärkt, um von Mary in die Mangel genommen zu werden. Als wir schließlich in den Schuppen fahren, bin ich fast schon fröhlich. Ein fremdartiges Gefühl. Es war gut, mal die Kulisse zu wechseln, auch wenn man dazu Stunden im Auto sitzen musste. Sie greift nach meiner Hand, ehe ich aussteige.
    »Ich hab Cal besucht diese Woche«, sagt sie. Sie weicht meinem Blick aus. »Er hat den Geheimen Kinoclub verpasst, das ist noch nie vorgekommen, deshalb dachte ich, ich schau mal nach ihm. Ich wollte nur, dass du das weißt.«
    Ich ziehe meine Hand weg und mein Herz setzt für ein paar Schläge aus. Eifersucht.
    »Es geht ihm ganz gut«, sagt sie erstaunt.
    Meine plötzliche Eifersucht ist ein Schock für mich. Ich guck aus dem Fenster. Irgendein Sturm hat die Wetterfahne verbogen, die mein Vater gemacht hat, sieht aus, als ob himmelwärts die vorherrschende Windrichtung wäre.
    »Nur so, falls dich das interessiert. Sein Dad war ein paar Tage da. Cal ist zu Hause. Schläft ganz viel, aber das soll er auch. Na, egal«, sie atmet durch, lässt die Worte im Schwall kommen, scheint sich nicht sicher zu sein, ob sie es sagen soll. »Ich erzähl dir das nur, weil ich weiß, dass er dich liebend gern sehen würde … wenn dir danach sein sollte, zu ihm zu gehen.«
    Jetzt sieht sie mich an. Teils hoffnungsvoll, teils so, als würde sie versuchen, mich zu ergründen.
    »Kein Druck«, setzt sie noch einmal an, »aber ich glaub nicht, dass er noch weiter anrufen wird. Du wirkst irgendwie so, als ob du nichts mit ihm zu tun haben wolltest. Also, wenn du ihn als guten Freund behalten möchtest oder so, dann könntest du …«
    Draußen ist es dunkel. Der Himmel ist irre, mehr Sterne als Dunkelheit. Ich erinnere mich nicht, schon mal so viele gesehen zu haben, viel mehr, als wir in der Stadt je zu sehen kriegen. Ich erwidere Marys Blick. Diese Mondaugen, das so offene Gesicht.
    »Ich glaub, damit versuch ich dir zu sagen, nun liegt es bei dir«, sagt sie zum Abschluss.
    Ich steige aus ihrem Auto aus und gehe ins Haus.
    Als ich am nächsten Morgen endlich aufwache, hat Mary sich schon emsig zu schaffen gemacht. Sie hat Dads Entsafter ausgegraben. Neben einem herzhaften Glas fuchsienfarbenen Rote-Bete-Ingwer-Saft lehnen fünf orange Tulpen aus einem Marmeladeglas. Ich schnappe mir das Brotmesser, befreie ein Stück Sauerteigbrot, schmiere Butter drauf und lehne mich gegen die Spüle, kaue mein Brot, nippe am Saft. Es ist schön, sie hier zu haben, selbst wenn das bedeutet, dass mein Handy aufgeladen auf dem Tresen liegt. Darunter klebt ein Zettel. Cals Nummer.
    Ich trete einen Moment aus der Tür. Im Atelier dröhnt Musik. Mary arbeitet. Die Sonne steht hoch und riesig am Himmel, feiert ihren Triumph. Gönne ich ihr. Teste die Stimmung wie die Temperatur des Badewassers, fühle mich seltsam normal. Keine rosa Pille gestern Abend. Hab einfach geschlafen. Gesegnet seien die, die hohlen Kopfes sind.
    Es ist eindeutig leichter, wach zu werden, wenn ich sie nicht nehme. Statt des sich in einer mentalen Schleife ständig wiederholenden Katastrophenfilms war Cal da in meinen Gedanken, bis ich eingeschlafen bin. Ich hab nicht versucht, ihn wegzustoßen. Vielleicht sollte ich ihn heute anrufen. Reden. Vielleicht kann ich mich wie ein normaler Mensch aufführen.
    Ich geh wieder rein. Die Tulpen sehen hoffnungsvoll aus. Ich trinke meinem Saft aus – danke, Mary –, zieh die sauberen, frisch riechenden Laufklamotten an und mach mich auf in den strahlenden Morgen. Ich muss entscheiden, was ich tue. Was ich tun werde.
    Zwei Nachrichten sind bei meiner Rückkehr auf dem Handy. Beide von meiner Mutter. Dad ist verreist. Sie denkt, ich bin allein. Er hat ihr wohl nicht erzählt, dass er Mary gebeten hat, bei mir zu bleiben. Wollte mich nur mal nach dir erkundigen, sagt sie. Hoffe, alles ist in Ordnung – ein verzweifelter Singsang –, sag mir, dass alles gut ist. Ich rufe zurück, aber wähl mich direkt in die Mailbox ein, wo ich ein kleines »hey, Mom, ich ruf später an« hinterlasse.
    Dann, ehe ich noch länger drüber nachdenken kann, versuche ich, Cal zu erreichen. Damit hatte ich nie Probleme … Jungs anzurufen. Meine Hand zittert ein wenig, als ich wähle.
    Mailbox. Eine Enttäuschung. Ich lege auf.

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