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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy McNamara
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uns durch die bewaldeten Hügel weiter ins Land hineinschlängeln. Ich bin immer noch ganz verwundert darüber, hier mit ihr zu sitzen, auf dem Weg woandershin. An einem Tag hab ich mehr von der Gegend gesehen als in den Wochen, die ich bisher hier verbracht habe. Am Ende bricht sie das Schweigen.
    »Ich habe so ein Glück, mit deinem Dad arbeiten zu können«, sagt sie mit einem zwinkernden Lächeln in meine Richtung.
    »Ach?«, sage ich. Dieses Gespräch will ich wirklich nicht haben. Nicht mit Mary. Jeder kriecht meinem Dad in den Arsch.
    Sie lacht hell auf, als ob sie etwas in das reingelesen hätte, was ich nicht gesagt habe.
    »Du verstehst nicht«, sagt sie. »Mit deinem Dad zu arbeiten ist eine große Sache. Ich bin einfach nur froh, hier oben zu sein.«
    Ich guck aus dem Fenster. Es sieht aus, als ob es die Landschaft wäre, die von sich aus vorüberhuscht, sich zurückzieht, verschwindet. Je weiter wir ins Land hineinkommen, desto mehr weichen die Tannen den Zeugnissen menschlichen Lebens. Triste Gräser in Gold und Braun liegen nass und schlaff am Boden. Mary macht Musik an und singt leise mit. Aus dem tief hängenden Himmel rieselt immer wieder Schnee, der von der Windschutzscheibe perlt.
    Mary erledigt zuerst Dads Besorgungen, dann parken wir vor einer Ladenzeile.
    »Ach, die Stadt«, sagt sie mit einem wehmütigen Lächeln, so als wären wir zurück in der Zivilisation. Ich schau mich um. Die »Stadt«, wie das alle hier nennen, würde in die hintere Hosentasche von New York passen, aber Mary hat einen Plan und steuert direkt auf eine Reihe von Secondhandläden und einen tollen Buchladen zu.
    Im Laden ist es voll, warm, und es riecht, wie es nur in Secondhandläden riechen kann.
    »Das hier«, sie hält mir eine pflaumenblaue Chiffonbluse hin, »schreit geradezu: schau mir in meine wunderschönen Augen!«
    Wenn ich doch lachen könnte. Stattdessen bringe ich ein Lächeln zustande.
    Sie drängt mich dazu, die Bluse zu kaufen, und noch eine andere in schiefergrauer Baumwolle, im Stil der Achtziger, bedruckt mit kleinen rosenfarbenen Eulen, die schon von jemandem sehr geliebt und zu einer lächerlich faserigen Weichheit gewaschen worden ist.
    »Eine Bluse für die Schönheit, und eine für die Weisheit.« Die Kassiererin zwinkert mir zu, windet ihr pinkes Haar zu einem Knoten, den sie mit einem Bleistift feststeckt.
    »Kleider bringen nicht alles in Ordnung«, pflichtet Mary ihr bei, »aber eine Menge.«
    Als Nächstes ist der Buchladen dran. Ein Labyrinth dicht gedrängter alter Bücher, die sich wieder dem Staub anheimgeben. Mary sinkt im hinteren Teil auf den Boden und geht eine Sammlung deutscher Kunstbände durch.
    Ich beginne, zwischen den durchhängenden Regalen herumzuwandern, auf der Suche nach Gedichten, aber ich komme nicht an einer alten Tafel des Periodensystems vorbei, die hinten an der Wand hängt. Sie ist genau wie die, die Patrick über seinem Schreibtisch hatte, und da bin ich wieder, höre ihm beim Planen zu – sein Lieblingsspiel, die Zukunft. Für ihn, noch mehr Naturwissenschaft. Für mich – er geriet ein wenig ins Straucheln, wenn er zu mir kam, so wie meine Mutter immer. Wollte mich in eine Schublade stecken. Doch was ich wollte, war nicht versteckt, nur chaotisch. Ungewiss. In meinem Herzen hätte es irgendwas weniger Vorgezeichnetes sein können, etwas Offenes, anderes. Etwas, das mich hinausbrachte in die größere Welt, wo ich Menschen beobachten konnte, die Geheimnisse in ihren Gesichtern. Etwas Wahres. Ich wollte etwas Wahres sehen, so viele Geschichten sammeln, wie mein Herz nur fassen konnte.
    Mein blödes Herz.
    Als ob sie etwas gespürt hätte, taucht Mary auf und hakt sich bei mir ein, gibt vor, nicht zu sehen, dass meine Augen sich gefüllt haben. Sie zieht mich aus dem Laden. Wir machen einen Schwenk ins Café nebenan zu Mocha Lattes und Scones, dann wieder rein in ihren Subaru und zum Einkaufszentrum.
    Im Einkaufszentrum fühle ich mich völlig fehl am Platz, surreal. Mary führt mich rein und raus aus den Geschäften. Die Schwaden von Gesichtern, durch die wir uns bewegen, überwältigen mich. Das ist die größte Ansammlung von Menschen, die ich gesehen habe, seit ich die Stadt verlassen habe. Alle sind unterwegs und gucken. Eine Gruppe Mädchen zieht vorüber, sie lachen, aber glücklich hört sich das nicht an. Männer lehnen an den gläsernen Geländern, Haufen von Päckchen zu ihren Füßen, ihre Blicke wandern wie langsame Uhrzeiger über den Boden. Ich hab

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