In allertiefster Wälder Nacht
erst kennen.« Wie quengelig und kindisch, so etwas zu sagen, aber es ist schon raus, ehe ich es zurückhalten kann.
»Ja, ich muss wieder zurück auf die Hochschule. Ist ja nicht weit. Weißt du, du könntest mich besuchen, wann immer du willst, Wren …«
Sie hört sich an, als würde sie sich schuldig fühlen. Als ob sie schuld dran wäre, dass ich keinen Schimmer habe.
Warum sind die Leute bloß nett zu mir? Mir ist elend vor Scham. Ich hab absolut nichts getan, um sie kennenzulernen, und hier ist sie nun mit einem miesen Gefühl, weil sie weggeht. Und sie lädt mich sogar zu Besuch ein. Sie sollte wegrennen, schnell und weit weg von hier, ohne sich umzugucken.
Ich seufze und lehne den Kopf gegen das kalte Autofenster. Wie konnte mein Dad ausgerechnet jetzt nach Berlin fahren, am Ende ihres Stipendiums? Berlin. Seine Vernissage. Und dann geht es mir auf.
»Oh Gott! Mary, hättest du mit meinem Dad nach Berlin fahren sollen?« Mir wird schlecht.
Sie zuckt ein klein wenig mit den Schultern. Will sich nicht festlegen. Guckt rüber zum Hänger, als hätte sie bemerkt, dass jemand rausgekommen ist oder so. Niemand. Sie schaut auf die Benzinanzeige und stellt den Motor wieder ab.
»Du solltest …« Ich bedecke das Gesicht mit den Händen. »Du bist meinetwegen hiergeblieben.«
Ich sinke und sinke.
»Dein Dad sagt, wenn ich will, kann ich im Sommer wiederkommen, weil er ja irgendwie abgelenkt war.« Sie lächelt mich schnell an. »Normalerweise wird das nicht so gemacht, sagt er, aber weil dieses Jahr …« Sie holt kurz Luft. »Als ich von deinem Unfall gehört hab … war ich ziemlich erstaunt, dass er mir nicht abgesagt hat.«
Das Letzte sagt sie ganz leise, so als würde sie es am liebsten gar nicht aussprechen.
Klar. Und ich war der Grund, aus dem er gezögert hat, diese legendäre Party zu veranstalten. Ich muss den fiesen Scone noch mal runterschlucken, den ich zu meinem Kaffee gegessen hab. Dad war zerstreut.
Sie will nicht aufhören, mich anzusehen. Mich zu lesen. Und ich hab mein Gesicht nicht in der Gewalt. Ich hab genug damit zu tun, der Scham standzuhalten, die in meinem Innersten hämmert.
»Eigentlich ist es meine Schuld«, sagt sie. Dabei klingt sie irgendwie ein wenig nervös. »Als ich kam, war er so zerstreut, dass ich ihm angeboten habe, alles zu tun, was ich konnte, um zu helfen.«
Und das endete dann damit, dass sie auf mich aufgepasst, das Geschirr abgewaschen hat und wahrscheinlich nichts Nützliches von meinem Dad gelernt hat. Ich zieh mir den Kragen ins Gesicht. Und ich kann nichts zu ihr sagen, das irgendwas ändern würde. Mary hat geholfen, in der Hoffnung, dafür das zu bekommen, was sie hier eigentlich wollte. Sie hat den Kürzeren gezogen. Hat ihr Stipendium gehabt, als die irre Tochter des Künstlers im Haus war. Ich binde meinen Schal fester und wünschte, wünschte, ich wäre wieder zurück im Haus oder beim Laufen. Sonst wo, nur nicht hier, mit diesen Gefühlen. So ist das einfach. So ist das. Immer. Achte auf Dinge, auf Leute. Es ist so leicht, andere Menschen zu enttäuschen. Und die Abschiede. Man hat nie so viel Zeit, wie man dachte. Mir steigen die Tränen in die Augen. Ich blinzele sie weg. Ich hab’s vermasselt mit Mary, jetzt haut sie ab.
»Also, mein Nachfolger ist ein Typ. Nick Bishop«, sagt sie in munterem Ton. »Du wirst ihn mögen. Er ist nett. Kontaktfreudig. Ambitioniert.«
»Toll.« Dieser neue Typ ist mir ja so was von egal.
Der Schnee fällt spärlicher, schmilzt, wenn er auf die Windschutzscheibe trifft. Ich beobachte, wie die Flocken träge im Dreieck des Flutlichts zwischen uns und der Werftbaracke taumeln.
»Ich bin ihm ein paar Mal begegnet. Er ist witzig. Meine Freundin Sarah kennt seinen Mitbewohner. Hat ein gutes Herz, sagt sie. Dein Dad hat ihn gemocht bei den Bewerbungsgesprächen.«
Ich werde einen anderen Menschen kennenlernen müssen. Ich wusste nicht mal, dass mein Dad Bewerbungsgespräche geführt hat. Wann hat mein Dad Bewerbungsgespräche geführt? Ich würde morden dafür, jetzt im Bett liegen zu können. Der unruhige Schlaf von letzter Nacht liegt wie eine Bleischürze über allem. Ich war so in meine Nabelschau versunken, dass es peinlich ist. Ich guck aufs Werftbüro. Nichts deutet darauf hin, dass bald mal jemand zu uns rauskommt. Ich seufze. Streng dich an. Das sage ich mir. Streng dich verdammt noch mal an .
»Wer sind eigentlich die anderen Leute? Die mit euch arbeiten?«, frage ich. »Die anderen Assistenten.«
Sie
Weitere Kostenlose Bücher