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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy McNamara
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altmodischen Messingschlüssel an einem Band aus ihrer Manteltasche und schließt die verglaste Haustür auf. Wir treten in die Stille einer in Eiche getäfelten Diele. Alles ist auf Hochglanz poliert, linker Hand hängen Porträts an der Wand, schwar ze Reihen von Nonnen, die einen unsichtbaren Fotografen anlächeln.
    »Was ist das hier?«, frage ich, als ich in die vielen Frauengesichter schaue.
    Mary geht an mir vorbei zu einem Tisch, lehnt sich drüber und nimmt einen Brief aus einem Postfachregal im Stil alter Hotels.
    Sie dreht sich um und lächelt. »Du machst Witze, oder? Warst du etwa noch nie hier?«
    Ihr Blick fällt auf den Umschlag in ihrer Hand. Sieht aus wie was Offizielles, trägt das Logo der RISD , der Hochschule für Design.
    »Zara und Jeb haben es vor Jahren eingerichtet«, sagt sie, irgendwie wirkt sie zerstreut. »Als die letzten Nonnen ins Pflegeheim gezogen sind. Es ist ein Rückzugsort für Künstler. Komm, ich zeig dir mein Zimmer. Ich muss mir nur ein paar Sachen holen.«
    Ich folge ihr durch ein geräumiges, holzvertäfeltes Wohnzimmer. Die Fenster gehen auf eine umlaufende Veranda hinaus. Im Garten daneben entdecke ich eine Laube, die wohl schon mal bessere Zeiten gesehen hat, und einen riesigen eingezäunten Gemüsegarten, der mit Stroh und Schnee bedeckt ist.
    Mary nimmt zwei Stufen auf einmal. Oben betreten wir in einen langen Flur mit sechs Türen auf jeder Seite.
    »Das Bad ist am Ende, wenn du es brauchst«, sagt sie mit leiser Stimme. »Mein Zimmer ist hier.« Sie öffnet die Tür mit der Acht.
    »Alles gut«, sage ich und folge ihr nach drinnen.
    Trotz des grauen Tages draußen wirkt Marys Zimmer hell. Schmal ist es, schlicht und ein hohes Fenster geht zum Garten raus. Eine zarte Spitzengardine hängt davor und verwandelt das Licht in etwas Komplizierteres, Erleseneres.
    »Ist das nicht hinreißend«, sagt sie, eindeutig stolz. »Ehrlich, einen friedlicheren Ort gibt es nicht.«
    Sie wirft ihre Tasche aufs Bett und zieht ein paar Schubladen auf. In dem kleinen Zimmer ist kaum Platz für mehr als das schmale Bett und die Kommode. Auf einem Nachttisch mit Spitzendeckchen stehen eine Leselampe und ein Wasserglas, und ihr Skizzenbuch liegt dort. Ein wackliger kleiner Schreibtisch lehnt vorm Fenster, der dazugehörige Stuhl ist ordentlich darunter geschoben.
    »Ich bin in einem Haus voller Schwestern aufgewachsen«, sagt Mary lächelnd. »Ich musste alles teilen. Ich finde es fantastisch von Zara, dass sie dieses alte Haus gerettet hat und es Künstlern als einen Ort zum Denken anbietet.«
    Während Mary in ihren Sachen wühlt, schaue ich mir die Fotos an, die sie über dem Bett an die Wand geheftet hat. Ziemlich viele Aufnahmen von ihr mit einem Dreier pack anderer Mädchen, die wie Schwestern aussehen, und ihre Mutter. Fünf Variationen des einen Gesichts lächeln durch die Zeit, vor mit Geburtstagskuchen beladenen Tischen, wacklig auf Schlittschuhen auf eisbedeckten Seen, wie Bienenwaben aneinanderklebend in den Schl äuchen von Autoreifen, mit denen sie einen kleinen, veralgten Fluss entlangtreiben.
    »Kein Dad«, sage ich, erst dann merke ich, dass ich laut gesprochen habe.
    Marys Kopf fährt zu mir herum und für den Bruchteil einer Sekunde schwächelt ihr Lächeln. Aber wirklich nur ein Bruchteil. »Nee«, sagt sie und schaut die Bilder an. »Er hat’s verpasst.«
    Ich weiß nicht, was sie damit meint, aber das ist das erste Mal, dass ich so etwas wie Schärfe in Marys Ton ausmachen kann, also frage ich nicht nach.
    Mit der frisch gepackten Tasche in der Hand und knallblauen Socken, die oben aus ihren Stiefeln lugen, führt sie mich durchs Haus, eine Hintertreppe runter, durch eine große Küche, in der eine Frau und ein Mann still zusammen arbeiten. Drei Obstkuchen, zwei Laibe Brot, ein Blech Kekse stehen in unterschiedlichen Stadien der Vollendung vor ihnen aufgereiht. Mary begrüßt die Bäcker und schnappt sich Äpfel aus einem Korb in der Pantry, dann schlüpfen wir zur Hintertür hinaus. Der Schnee quietscht unter unseren Füßen wie Styropor, als wir ums Haus herum zum Auto zurückgehen.
    »Jetzt ist es gerade ziemlich leer«, sagt Mary, deren behandschuhte Hand aufs obere Stockwerk zeigt. »Die Aufenthalte der Mieter laufen zyklisch ab und gerade ist wenig los. Als ich kam, war es rappelvoll. Die Abendessen waren großartig. Trotzdem bin ich irgendwie froh über die Leere.«
    Ihr Auto ist noch warm und ich sinke tief in meinen Sitz. Wir sind beide still, während wir

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