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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy McNamara
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immer darum gebetet, aufmachen zu können, hatte immer Sorge, so zu sein wie meine Mutter, zu verschlossen oder so. Überallhin hab ich meine Kamera mitgeschleppt und versucht, mehr zu sehen. Jetzt hab ich das Gefühl, meine Lider wären mit Nadeln hochgesteckt – und es ist nichts mehr zwischen mir und … allem. Wie hab ich das nicht sehen können? Überall ist Schmerz. Ich bin nur eine von vielen traurigen Geschichten. All diese Leute tragen ein Lächeln, schleppen sich voran … ob sie es schon wissen? Ob ihnen klar ist, wie schnell sich die Welt verändern kann?
    Ich dreh langsam durch. Mein Handy summt in der Tasche. Ich angele es heraus. Meine Mutter. Für eine Minute lasse ich mich auf eine Marmorimitatbank fallen, wo ich den Anruf ignoriere und die Augen schließe. Ich sag Mary, dass ich fertig bin. Ich werde im Auto warten, während sie noch ein paar Sachen anprobiert. Sie mustert mich schnell mit besorgtem Blick, wirft mir aber die Schlüssel zu.
    Noch eine letzte Besorgung für Dad auf dem Rückweg. Wenigstens ist es jetzt dunkel, abschottende Erleichterung. Die Lichter auf dem Armaturenbrett scheinen sanft, matt. Wir biegen zu einer Werft ein. Mary läuft ein paar Stufen hoch zu einem baufälligen Hänger-Querstrich-Büro, um zu holen, was auch immer wir hier abholen sollen. Sie kommt wieder raus. Es ist immer noch nicht fertig. Wir müssen warten.
    »So«, strahlend dreht sie sich zu mir. »Dann gibt dein Dad seine Swap-Night-Party dieses Jahr also doch.«
    Wenn ich doch wüsste, wovon sie eigentlich redet. Oder warum sie nicht stattfinden sollte.
    »Swap Night, was ist das?«
    »Das weißt du nicht?« Sie ist erstaunt. »Die Party gibt er jedes Jahr. Ich bin fast fertig hier oben.«
    Ich weiß nicht, was los ist.
    »Fertig?«
    »Mein Stipendium …«, sagt sie, wobei sie eine Augenbraue hochzieht.
    »Dein Masterstudiengang?«
    Sie schaut mich ein wenig mitleidig an.
    »Nein, das Stipendium. Du weißt doch, dass ich als Stipendiatin hier bin, oder?«
    Nein, hab ich nicht gewusst. Ich war nicht mal drauf gekommen, mich zu fragen, warum sie eigentlich hier oben ist. Ich dachte, sie gehöre einfach zu den Leuten von meinem Dad.
    »Ich bin nur fürs erste Semester hier. Ende August bis Dezember. Von der RISD ?« Ihre Stimme hebt sich am Ende ein wenig, und sie spricht etwas langsamer, als ob sie mit einer Gestörten reden würde.
    Und das bin ich. Frisch entlassen aus der Anstalt. Ich schrumpfe auf meinem Sitz zusammen.
    »Das wusste ich schon, das mit der Hochschule für Design«, sage ich. »Er redet immer von der RISD .«
    Aber eigentlich weiß ich überhaupt nichts. Die Welt von meinem Dad war immer eine Selbstverständlichkeit. Leute kamen und gingen. Scharten sich um ihn. Ein volles Haus, eines, in dem nie viel Platz für mich war.
    »Nun, es ist ein Stipendium. Ich habe ein Stipendium. Um mit deinem Dad zu arbeiten. Er hat mich ausgewählt. Er nimmt zwei Stipendiaten auf, alle zwei Jahre. Und es ist fast vorbei.«
    Mir wird schwer ums Herz.
    »Mein Nachfolger kommt zur Swap Night. Verstehst du? Swap – tauschen. Wir tauschen die Plätze. Die Party ist legendär. Am Silvesterabend. Ich sag’s ja nicht gern, aber schon deshalb will jeder das Herbststipendium gewinnen. Die Party. Die Kontakte. Am Ende des Frühlingssemesters gibt es noch eine Zusammenkunft, aber offenbar wollen die Leute dann nicht so gern hier hochkommen. Diese Party ist die beste.«
    Sie guckt mich vorsichtig an, so als wäre ihr Ehrgeiz ihr ein wenig peinlich.
    Mein Mund steht offen. Ich klappe ihn zu, schließe die Augen. Ich bin von den Socken. Ich hatte keine Ahnung von nichts. Seit ich hier angekommen bin, habe ich mich um niemanden gekümmert. Ein klammes Schamgefühl steigt in mir hoch.
    »Swap Night. Zu Silvester? Du weißt schon, raus mit dem Alten, rein mit dem Neuen?« Sie schaut mich an, traurig. Steckt eine weißblonde Strähne zurück in das Arrangement oben auf ihrem Kopf.
    »Das hast du wirklich nicht gewusst?«
    Sie lässt den Motor an und schaltet die Scheibenwischer ein.
    Der Schnee kommt jetzt schneller runter, hüllt uns ein.
    »Du gehst weg?«, frage ich. Ich komme mir vor wie ein Idiot. Natürlich geht sie. Ich bin diejenige, die sich nicht vom Fleck rührt. Ich bin diejenige, die vom Karussell gestiegen ist und schmollend hier hockt. So was machen Leute, oder? Sie gehen wer weiß, wohin. Das hatte ich doch auch vor.
    Sie nickt und blinzelt ins Weiß, das vom Himmel kommt.
    »Aber ich lerne dich doch gerade

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