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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy McNamara
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leichter.
    »Ich hab Patrick nichts von dem Test erzählt«, sage ich. »Nur, dass ich Schluss machen wollte. Daraus wurde dann ein riesiger Streit. Ich verdarb den Plan, seinen Plan. Wir hätten den Sommer über zusammen reisen sollen, danach dann ab zu unseren Unis. Kein Abschied, alles Weitere würde sich ergeben. Das hatten wir abgemacht. Er hat immer wieder gesagt: Aber du bist doch einverstanden gewesen . Er konnte es nicht glauben. Ich fing an, die gemeinsten Sachen zu sagen, die mir einfielen, hab versucht, mich in jemand anderen zu verwandeln, in jemanden, den er gehen lassen würde.«
    Ich schließe die Augen, erinnere mich, wie mir klar wurde, wie betrunken Patrick war, schlimmer als ich, wie lange ich im Bad gesessen und diesen Test angestarrt hatte, während er am Strand war, gefeiert hatte. Jemand hatte nasses Holz aufs Lagerfeuer geworfen und der Rauch war um uns herumgewirbelt, der Geruch hing noch am nächsten Morgen im Krankenhaus in meinem Haar.
    »Wir waren laut. Total neben der Spur. Es war kein Streit unter vier Augen. Ich erinnere mich, seine kleine Schwester Emma gesehen zu haben und ein paar ihrer Freundinnen, und ich weiß noch, dass ich mich gefragt habe, wie die wohl da rausgekommen waren. Patrick hat mich ziemlich heftig geschubst, dann ist er vom Strand gestürmt. Aus irgendeinem Grund haben wir an diesem Abend nicht die Schlüssel einkassiert. Ein paar von uns rannten ihm nach. Er war so durch den Wind. Bevor er losrasen konnte, war ich im Auto. Ich dachte, ich könnte die Schlüssel nehmen oder ihn beruhigen, ihn dazu bringen, rechts ranzufahren. Aber dazu blieb keine Zeit. Wir fuhren so schnell. Das rechte Vorderrad kam von der Stra ße ab, wir überschlugen uns, rollten einen kleinen Hügel runter. Was gerammt haben wir nicht. Einfach nur gerollt sind wir, bis wir standen. Und dann war es still.«
    Cal hält mich immer noch. Er atmet so ruhig, mich erinnert das an Wellen, die ans Ufer schlagen.
    »Patrick war sofort tot. Er hatte sich nicht angeschnallt. Ich konnte nicht raus aus dem Auto. Dann war ich im Krankenhaus. Meine Mom sagte mir, dass ich eine Fehlgeburt hatte. Meine Eltern wissen es also. Sonst keiner.«
    Tiefes, zittriges Luftschnappen.
    »Immer wieder sagte sie, was ich doch für ein Glück gehabt hatte. Ich hab’s nicht ausgehalten. Mir war alles zuwider, was die alle sagten. Aber sie wollten nicht die Klappe halten, also tat ich das. Ganz schön lange. Drei Monate.«
    Ich lasse den Atem fließen, den ich festgehalten habe, gucke an die leere weiße Decke.
    »Ich hab all dem einfach den Rücken gekehrt. Mein Gott, ich hatte unbedingt rausgewollt aus meinem sicheren kleinen Leben, ich wollte das Gefühl haben, in der wirklichen Welt zu leben.« Ein bitteres Lachen steigt mir wie Galle im Hals hoch. »Mein Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Die wirkliche Welt fühlt sich an wie die Hölle.«
    Cals Blick ruht auf mir. Unerschütterlich. Als Zeuge meiner Schande. Ich mach die Augen wieder zu.
    »Jeder glaubt, ich sei bei dem Unfall nicht verletzt worden. Bin ich aber. Ich hab es verdient, ich weiß …«
    »Nein.« Er hält mein Gesicht mit beiden Händen, stoppt mich an dieser Stelle. Entschlossen. Dunkel der Blick. »Sieh mich an.«
    Ich schüttele den Kopf, versuche wegzugucken. »Du kannst dir das nicht vorstellen«, sage ich. »Du hast nie …«
    Er unterbricht mich. »Du auch nicht. Wren, du kannst dir das nicht antun. Du hast einen Fehler gemacht und bist schwanger geworden. Patrick hat einen Fehler gemacht und ist betrunken und wütend in sein Auto gestiegen. Was geschehen ist, ist schlimm genug. Schlimmer geht’s nicht. Aber daran ist niemand schuld und eine Art Bestrafung ist es auch nicht. Wenn du das denkst, gibst du dir selbst den Rest.«
    Den Rest geben … Vielleicht hab ich das gemacht. Oder versucht.
    »Es wird nie wieder gut werden«, sage ich.
    »Die Fakten werden sich nicht ändern«, sagt er leise, »aber du.«
    »Woher willst du das wissen?«
    Draußen vor dem Fenster glitzern die goldenen Lichter, als ob sie Hoffnung für uns hätten.
    »Es geschieht bereits«, sagt er, und das klingt ganz sicher.
    Wenn ich ihm doch glauben könnte. Er sieht mich an, als würde er sehen, wo ich anfange.
    Ich schließe die Augen.
    Patrick. Wir sind in seinem Auto, fliegen den Old Montauk Highway entlang, meine Worte hacken auf ihn ein wie kleine schwarze Vögel, flehen ihn an, langsamer zu fahren, rechts ranzufahren, anzuhalten. Dann schreie ich. Er macht mir Angst.

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