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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy McNamara
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hatte, die ich ihm im Laufe der Jahre geschickt hatte. Die ließ er neben mir aufs Bett fallen. Und ging. Ich nahm den Deckel ab. Gefährliches Gelände, auf dem ersten Bild ist Patrick – da mals, kurz bevor wir zusammenkamen –, der einen Hand stand auf unserer Türschwelle macht. Angeber. Aber dann rutschte ein anderes Foto aus dem Stapel. Wie ein Geschenk.
    Ein kleiner Junge, der nach der Schule die Twentieth Street entlangflitzt und einen Karton vor sich herkickt, der genauso groß ist wie er. Mit beiden Beinen in der Luft, das Gesicht weit offen und zahnlückig grinsend, hab ich ihn erwischt. Der Karton fliegt auch, ein paar Schritte vor ihm … ein urbaner Drachen. Man muss hinsehen. Ich erinnere mich, das gedacht zu haben, als das Bild in der Dunkelkammer zum Vorschein kam. Hab gespürt, was für ein Glück ich hatte, hingesehen zu haben. Dieser Augenblick von … von Leben, vom besten Teil davon, hat sich offenbart, weil ich bereit gewesen war und hingeschaut hatte.
    Das ist ein gutes Geschenk für Cal, etwas, das ich liebe. Ich bin ins Atelier gelaufen, wo Dad und Mary arbeiteten, ganz früh, ganz intensiv, und Dad hat sich losgerissen von dem, was er gerade machte, um mir beim Rahmen zu helfen.
    Der Tisch ist gedeckt. Bereit für ein Fest, für Gäste. Ich wünschte nur, ich würde nicht dazugehören. Durch die Schwingtür höre ich Füße an der Hintertür Schnee abtrampeln, dann die Geräusche, mit denen alle denjenigen begrüßen, der gekommen ist. Es ist eine Weile still, dann lachen sie alle heftig über irgendwas. Die Stimme des Neuankömmlings ist besonders hell, durchdringend. Ihr Lachen hat eine Stimmlage, die mich erschreckt. Ich lehne mich an die Anrichte, versuche, mich zu entspannen, und träume von Marys ruhigem Zimmer. Die Tür zur Küche schwingt auf. Zara, »O Holy Night« summend, mit einem Löffel voll Birnen-Cranberry-Piefüllung geht mit großen Schritten auf mich zu, hält ihn mir vor den Mund.
    »Das brauchst du«, sagt sie lächelnd. »Das spüre ich. Gut gemacht, mit dem Tisch.«
    Ich schlendere in den vorderen Salon, lasse mir die süßen Früchte auf der Zunge zergehen. Sie folgt, rückt die Stechpalmengirlande über dem Kaminsims zurecht, stellt eine Kerze in einer silbrigen, verästelten Menorah auf der Anrichte gerade hin.
    »Mary hat die gemacht.« Mit dem Finger streicht sie an den feinen Bögen entlang. »Hat sie uns fürs Haus geschenkt. Hast du ihre Leuchter gesehen?«
    Ich schüttele den Kopf. Ich hab überhaupt nichts gesehen. Und wenn, dann hab ich es übersehen.
    »Das ist auch so was, was sie nebenbei macht. Dieses Mädchen. Ständig schafft sie etwas.« Zara lacht. »Sie hat so lange an diesen Popcorngirlanden gearbeitet.« Ich schau, wo sie hinzeigt. Eine endlose Schlange knusprigen Popcorns windet sich um den grünen Lamettabaum, der in der Ecke des Salons die Zweige hängen lässt. »Ich hatte nicht das Herz, ihr zu sagen, dass die nur wieder unsere Maus anlockt.«
    Sie zieht mich auf ein Sofa, setzt sich neben mich. »Ich musste dem Papst die Glocke vom Halsband nehmen, damit er zuschlagen kann.«
    »Papst?«
    Sie lacht wieder. »Der da.« Sie zeigt in die Ecke, zum Baum, wo ein korpulenter roter Kater faul vor dem Kamin liegt. Er starrt uns kurz an, dann schläft er weiter.
    »Der Papst.« Ich nicke, gebe ihr den leeren Löffel. »Klar. Hey, schöner Baum. Wo habt ihr den her? Aus den 50ern?«
    Zara ballt eine kleine Faust und boxt mir leicht auf den Arm. »Sogar hier oben«, sagte sie lachend mit einer wegwerfenden Handbewegung, »kann ich mich nicht dazu überwinden, einen zu fällen.«
    Sie steht auf.
    »Ich muss zurück zu den Pies. Wenn du willst, mach ich diese Brötchen für dich fertig. Das könnte ich selbst im Schlaf noch.«
    Dankbar nicke ich. Diese Brötchen waren mir wie eine Prüfung vorgekommen.
    »Ich schick dir Cal raus.« Mit einer Handbewegung weist sie auf die beiden Kamine, einen in jedem Raum. »Glaubst du, dass er weiß, wie man das perfekte Feuer aufschichtet?«
    Ich lächele Zara an, verbanne das grimmige Mädchen.

Ein heller Stern ist uns erschienen
    Es ist Mitternacht geworden, bevor wir uns vollgesopft mit Gänsebraten wieder nach draußen wälzen. Cal, Dad, ich. Ich fahre. Cal ist müde, Dad hat viel zu viel Champagner, Sancerre, Vouvray und Cognac genossen. Ich hab in eine andere Betriebsart gewechselt, neu für mich, still, aber präsent.
    Stille Nacht. Es hat geschneit und die Straßen sind davon weicher geworden. Wir machen

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