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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy McNamara
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Das Rad schürft an irgendwas entlang, das Lenkrad ruckt und dreht sich. Ich kann den Blick nicht davon losreißen, es sieht so locker aus, als würde es sich losdrehen, dann sind wir diese endlosen Sekunden in der Luft, und alles kommt zum Stillstand.
    »Wren, komm zurück«, flüstert Cal irgendwo in der Ferne. »Bitte, komm zurück.« Seine weichen Lippen an meinem Ohr, am Hals, den Lidern, dem Kinn. »Verschwinde nicht wieder. Ich will dich hierhaben. Bleib hier.«
    Ich versuche, mich an das Riesenrad zu erinnern, das ich mir bei meinem Lauf vorgestellt habe. Dinge fallen aus dem Blickfeld, man fällt auch selbst, aber wenn man drinbleibt, taucht der Boden wieder auf. Ich mach die Augen auf und sehe Cal an. Sein schönes Gesicht. Wie hab ich ihn gefunden? Wie sind wir hier gelandet? Verloren und gefunden in den dunklen, schrecklichen Winterwäldern?

Sieh, Sieh hin
    Wir werden in Mercy House erwartet. Weihnachtsessen. Alle sind eingeladen. Sogar Mom. Sie lehnt ab, und ich frage mich, ob sie wohl jemanden kennengelernt hat, sich beschäftigt, solange ich weg bin.
    Dad und ich holen Cal ab und machen uns früh auf den Weg, um in der Küche zu helfen. Über dreißig Leute kommen. Zara begrüßt uns an der Tür mit einem Tablett voller Glühweintassen. Ihr Haar ist offen, umrahmt ihr Gesicht, ergießt sich wild und golden über den Rücken ihres roten Samtkleides. Sie wirkt sinnlich, wie heraufbeschworen, und kein bisschen so wie die handfeste Frau mit Zopf und Arbeitsschuhen, die ich aus dem Atelier kenne.
    Mit den Tassen in der Hand folgen wir ihr in die Küche, wo Lucy uns willkommen heißt, das rosige Gesicht über einem Topf köchelnder Cranberrys und mehlbestäubt nach dem Abmessen von Zutaten, aus denen offenbar mal drei Pies werden sollen. Mary ruft uns von oben ein lautes Hallo zu und poltert auf einem Paar silberner Clogs die Hintertreppe runter, ihr Haar ist zu kleinen Knoten gedreht, die über den ganzen Kopf verteilt und mit Lametta zusammengebunden sind.
    Jeder von uns kriegt seine Aufgabe. Dad erhält die Aufsicht über das Geflügel, einen Truthahn und eine Gans, die Zara für ihn bestellt hat, weil das etwas ist, das mein Großvater offenbar immer zu Weihnachten gemacht hat, und ohne Gans ist es kein Weihnachtsessen. Ist mir neu. Cal wird an den Rosenkohl mit Esskastanien gesetzt, Lucy schiebt ihm einen Hocker rüber, den er wortlos annimmt. Mary teilt mir mit, dass ich zuerst den Tisch decken und danach Tischbrötchen aus dem Teig forme werde, der in der Schüsseln auf dem langen Tisch vor den Backöfen gegangen ist.
    Dankbar für diesen Teil meiner Aufgaben verziehe ich mich zum Tischdecken. Das Leinenzeug strahlt, ist gebügelt und makellos. Mary führt mich zur Pantry, in der das Geschirr steht. Das Potpourri aus Tellern und Schüssel scheint eine Kollektion abgelegten Porzellans zahlloser Familien zu sein. Ich zähle die Teile ab, trage sie vorsichtig stapelweise zum Tisch und finde sogar für jeden Platz ein Stielglas mit dem zartesten geätzten Muster. Mary kreischt, als sie eine besonders schwere Schublade aufzieht und einen Schatz silberner Salzfässchen entdeckt. Sie macht sich auf die Suche nach Politur.
    Ich decke sorgfältig auf, nippe ein bisschen Glühwein, denke an all die Nonnen, die hier im Laufe der Jahre gelebt haben. Wovon mögen sie geträumt haben? Ich schaue auf, könnte ja sein, dass der Geist von einer von ihnen über uns schwebt, uns prüfend betrachtet, während wir ihr Haus bevölkern. Aber die einzige Erscheinung, die sich mir offenbart, ist mein Spiegelbild in einem Spiegel hinter dem Tisch. Mein Haar sieht heute schön aus, ich hab es zur Abwechslung mal gefönt, aber mein Gesicht ist ernst. Ich strecke dem grimmigen Mädchen im Spiegel die Zunge aus.
    Heute Morgen beim Aufwachen ging mir auf, dass ich für niemanden etwas hatte, keine Geschenke. Das war wie einer von diesen Träumen, in denen man eine Prüfung verpasst oder irgendwo nackt auftaucht. Ich hab wohl gedacht, ich würde irgendwie durch das Fest durchrutschen, nicht aktiv daran teilnehmen oder so.
    Dad hat mich gerettet, als er mein Jammern der Gewahrwerdung hörte. Segensreicherweise hat er keine für Eltern typische Bemerkung gemacht, in der Art wie: Geschenke seien nicht wichtig, dass ich da sei, freue ihn schon genug. Stattdessen ist er in mein Zimmer gekommen, und nachdem er mir einen festen Kuss auf den Scheitel gedrückt hatte, wühlte er im Schrank herum, bis er eine Schachtel mit Fotos gefunden

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