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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy McNamara
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ein übermächtiges Verlangen, deine Stimme zu hören.«
    »Ich laufe.«
    Sie seufzt, aber nur andeutungsweise, so als habe sie es nicht mit Absicht getan.
    »Das ist schön, hoffentlich ist es ein guter Lauf.«
    »Ist es, aber ich muss jetzt weiter, Mom. Ich werde kalt, wenn ich stillstehe.«
    »Natürlich, Liebling, erkälte dich nicht. Rufst du mich später an?«
    Ich verspreche anzurufen und mach mich auf den Heimweg.
    Als ich ankomme, ist Dad im Atelier, er ist aus Berlin zurück, und Mary ist in Mercy House. Ich bin allein mit dem schwindenden Tageslicht. Keine Musik. Alles, was ich habe, weckt Erinnerungen an Cal. Ich zwinge mich, nicht tieftraurig zu sein. Funktioniert nicht.
    Fleißig sein. Ich bin die Tochter meiner Mutter. Ich schleppe mich von der Couch rüber zur Spüle, um es mit dem ernsthaft vernachlässigten Abwasch aufzunehmen. Der Haferbrei von heute Morgen ist mit der Schüssel verwachsen, und bis das Wasser warm ist, sieht es ganz so aus, als würde er den Kampf für sich entscheiden. Vom Frühstück bezwungen. Das neue Erbärmlich.
    Mein Handy klingelt. Beinahe ignoriere ich es. Das wird wieder meine Mutter sein. Nur, sie ist es nicht. Es ist Cal. Cals Nummer. Das schwindende Licht vor meinen Fenstern ist schöner als je zuvor.
    »Kannst du jetzt rüberkommen?«, fragt er, noch bevor ich Hallo sage.
    Ich trockne die Schüssel ab, die ich sauber kratzen konnte, wische mir die Hände ab und werfe das Geschirrhandtuch auf die Arbeitsplatte, dann lasse ich mich in den Sessel fallen. Erleichterung durchströmt mich.
    »Ja«, sage ich und versuche zu verbergen, wie froh ich bin, seine Stimme zu hören. Klappt nicht.
    »Alles okay?«, frage ich.
    »Bestens. Bis gleich.«
    Er legt auf, ehe ich was sagen kann.
    Sehr geheimnisvoll. Und es ist, als wäre es das erste Mal, dass ein Junge anruft. Ein, zwei Minuten verbringe ich damit, wie erstarrt mit dem Telefon in der Hand dazusitzen und zu ergründen, wie seine Stimme geklungen hat. Kalt nicht, glaub ich. Dann renne ich in meinem Zimmer rum und versuche, das Richtige zum Anziehen zu finden. Probier die Chiffonbluse an, zu deren Kauf Mary mich genötigt hat. Das kann ich nicht tragen. Ich weiß nicht, was mich erwartet. Lieber was Bequemes. Ich prüfe meine Haare. Bürste ein paar Mal drüber, kämme sie dann mit den Fingern durch. Ein paar Dinge hab ich noch nicht vergessen. Ich lasse sie offen, ein weicher Rahmen für mein Gesicht. Ein bisschen Lipgloss lege ich auf. Zu sehr will ich mich nicht ins Zeug legen, sonst komme ich mir lächerlich vor, wenn er sagt, dass ich ihn jetzt das letzte Mal sehe. Denn, seien wir mal ehrlich, wahrscheinlich hat er sich die Sache durch den Kopf gehen lassen und wird mir sagen, dass er nicht auf unglücklich steht.
    Auf der Zufahrt zu seinem Haus sind haufenweise Reifenspuren. Besuch. Ist vielleicht immer noch da. Ich stell den Motor ab und bleibe eine Weile sitzen, versuche, ein paar Mal tief durchzuatmen. Dann drücke ich den Knopf und das Garagentor schwenkt hoch. Nur das silberne Auto. Kein anderes. Ich lasse den Atemzug raus, den ich festgehalten hatte.
    Jemand räuspert sich. Cal, der am Türrahmen lehnt und mich anlächelt. Die ganze Fahrt über hab ich gedacht, das pack ich nicht, aber da ist er und guckt mich an auf seine Art. Ich steig aus dem Jeep, werfe ihm die Arme um den Hals, küsse ihn.
    Lachend weicht er zurück. »Du kannst einen Mann umhauen, weißt du.«
    Er knöpft meinen Mantelkragen auf und küsst meinen Hals. Ich spüre das bis irgendwo unten hinter den Knien. Ich steig aus den Stiefeln und er zieht mir die Jacke von den Schultern. Im Haus brennt kein Licht.
    »Was machst du im Dunkeln?« Ich versuche, meine Augen dran zu gewöhnen, bin zittrig, zapplig auf eine nervöse, glückliche Art. Erleichtert. Ich bin erleichtert, ihn zu sehen. Erleichtert, dass er sich freut, mich zu sehen.
    »Nun, Kaninchen«, sagt er, stützt sich auf eine Krücke und verwuschelt meine Haare, als wäre ich ein Welpe. »Mein Dad und meine Stiefmutter sind auf einen Überraschungsbesuch vorbeigekommen. Als ich ihnen erzählt hab, dass ich über die Feiertage hierbleibe, haben sie sich Sorgen gemacht. Gesagt haben sie das natürlich nicht, angeblich waren sie nur auf der Durchreise nach New York und wollten mal Hallo sagen.« Er lacht. »Als ob das hier auf dem Weg liegen würde. Mein Dad war gerade erst hier, aber ich glaube, Annie, meine Stiefmutter, wollte mich mit eigenen Augen sehen.«
    »Klingt ganz wie meine

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