In allertiefster Wälder Nacht
wie ein Sonnenaufgang in Technicolor. Ohne sie ist das Haus trübe. Sogar aus meinem Vater, der normalerweise so beständig seine Bahnen zieht, scheint die Luft ein wenig raus zu sein. Und so schnell wie alles um uns herum abgehoben und sich aufgebläht hat im Kraftfeld des Swap-Night-Glanzes, schiebt uns jetzt der Januar wieder voran, sachlich in Stiefeln mit dicken Sohlen. Nick und mein Dad verschwinden im Atelier. Er werde in sein Stipendiat eingeführt, sagt mein Dad.
Ich laufe jeden Tag weiter. Versuche, Michaels Warnung zu vergessen. Und diesen Ausdruck in seinem Gesicht. Der Winter ist enorm, der Himmel tief und leer und endlos. Drückt mich nieder. Macht das Atmen schwer.
Wenn ich einen Weg finden könnte, das alles wieder außen vor zu halten, nur für eine Weile, wäre die Welt in Ordnung. Ich wär nicht so gefangen, so schutzlos zwischen Cal und dem Nichts.
Nach Michaels Abreise bricht Cal zusammen. Krank ist er nicht, erzählt er mir ein übers andere Mal, nur müde. Macht mir nichts aus. Ich bin auch müde, verbraucht. Ich will nur laufen und nicht denken, Bücher einstellen und nicht denken, dasitzen und nicht denken. Bei meinem Lauf an diesem Morgen zwingt mich ein toter Vogel im Schnee auf die Knie. Er sieht so verlassen aus … vom Leben, von sich selbst. Irgendwie mache ich es falsch, ich hab es nicht geschafft, das Angebot des neuen Jahres anzunehmen, noch mal von vorn anzufangen. Denn es ist überall, dringt in alles ein … ein sich ständig wiederholendes Gespräch mit Patrick, in dem ich mich erkläre, versuche, mich zu erklären. Worte benutze, in der Hoffnung, ein anderes Ende herbeizuführen. Ich sage ihm, ich wünschte, ich hätte abgewartet, bis wir irgendwo unter uns gewesen wären, zu Hause, in der Stadt, weit weg von Autos und Alkohol und allgemeiner Unzurechnungsfähigkeit. Ich sage, ich wünschte, ich wäre ein besserer Mensch gewesen, hätte ehrlicher gesagt, was ich wollte, und schneller, und vielleicht hätte ich dann auch nicht wieder mit ihm geschlafen, als ich schon wusste, dass Schluss war mit uns, als es vorbei war, für mich. Ich war schwanger – ich hätte es ihm gesagt, er würde es wissen –, ich hatte echt Angst in dieser Nacht. So geht das immer weiter, nutzlose Worte, während ich mir die Zähne putze, während ich mir die Schuhe zubinde, während ich an Mercy House vorbeilaufe und so tu, als ob Mary da drinnen wäre, und wünsche, sie wäre es. Es tut mir so leid, Patrick – ein Refrain der ins Nichts hallt, eine sinnlose Übung. Meine Rechtfertigungen sind erbärmlich, zwecklos. Sie fallen wie Schnee zwischen uns. Es wird nie so geschehen. Ich muss es aushalten. Allein. Er wird es nie erfahren. Gott, wie lang »nie« doch ist.
Als ich in der Bibliothek fertig bin, mache ich mich auf zu Cal. Er hat sich krankgemeldet bei seinem Praktikum. Die Beine verwickelt liegen wir da, warm, auf seiner Couch. Während er schläft, halte ich ein Buch, als würde ich lesen, und beobachte ihn beim Schlafen oder schaue aufs Wasser. Oder in sein Gesicht. Das Winterlicht wendet sich von uns ab.
Mein Telefon summt. Ich geh schnell ran, damit er nicht wach wird davon.
»Mamie, wie ich höre, ist da ein Junge.«
»Mutter«, flüstere ich, schiebe Cals Kopf behutsam von meinem Bein und gehe zu einem Sessel vorm Regal auf der anderen Seite des Raumes.
»Schatz, kannst du mich hören?«
»Ja, Mom. Kann ich. Du hast mit Dad geredet?«
»Mit Marta, nicht zu glauben. Sie hat sich schon Jahre nicht mehr bei mir gemeldet. Ich musste dich anrufen, das klingt doch hoffnungsvoll? Sie sagt, du siehst hinreißend aus, nun ja, und beim Gelage deines Vaters warst du am Arm eines jungen Mannes?«
»Er heißt Cal«, sage ich, so leise wie möglich.
»Oh, tut mir leid, Schatz, hab ich dich in der Bibliothek angerufen? Ich dachte, du wärst schon fertig für heute.«
»Nein«, flüstere ich. »Ich bin bei ihm.« Ich schaue zur Couch. Er wirkt so entspannt, mit dem Arm vor den Augen. Dann, ehe sie noch mehr Fragen stellen kann, sage ich: »Er schläft.«
»Schläft?« Ich höre ihr Stirnrunzeln.
»Nicht so was, Mom«, sage ich und werfe ein Bein über die Sessellehne. »Cal hat MS . An manchen Tagen muss er sich ausruhen.«
Funkstille.
Ich drehe an einem der Brillantstecker in meinem Ohr.
»Nun, ich vermute, es ist gut, dass du jemanden gefunden hast, jemanden, der dir Gesellschaft leistet«, sagte sie schließlich diplomatisch. Aber ich höre es in ihrer Stimme. Enttäuschung. Es ist
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