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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy McNamara
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Wartezimmer?
    Ich schau auf die Uhr. Ich bin pünktlich. Leise Stimmen klingen, als ob sie sich der dunklen Holztür vor mir nähern würden. Und dann geht sie auf. Eine junge Frau kommt heraus, schlüpft schnell an mir vorbei und raus. Zu schnell für mich, um ihr Gesicht zu sehen und ob sie nun froh wirkte oder nicht.
    »Mamie Wells?« Aus dem inneren Raum dröhnt eine Stimme. »Bitte, treten Sie ein.«
    Dr. Lang ist ein dicker Mann mit einem lieben Gesicht, ein bisschen älter als mein Dad. Er sieht aus wie ein gut gekleideter Akademiker. Er sitzt hinter einem enormen antik wirkenden Eichenschreibtisch, der neben einer langen Ledercouch steht. Bücherregale säumen die Wände, ein paar Bücher, eine Freud-Action-Figur in einer Schach tel, eine von diesen komischen moosig wirkenden Schlin gpflanzen. Und im Gegensatz zu der schrecklichen kleinen Wartezelle hat dieser Raum Gott sei Dank Fenster, riesige alte, mit Blick auf den Hof.
    »Schön, dich kennenzulernen«, sagt er, hievt seine Massen einen Moment lang aus dem Stuhl, um sich über den Tisch zu lehnen und meine Hand zu schütteln.
    Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber die Förmlichkeit des Händedrucks treibt mir das Wasser in die Augen. Dieser Typ meint es ernst. Und im Gegensatz zu den Sitzungen, die ich gleich nach dem Unfall hatte, werde ich diese hier wirklich in Erinnerung behalten. Ich setze mich auf die Couch. Gucke aus diesen Fenstern. Himmelwärts. Stelle mir Cal in Cornell vor, in einem Collegehof wie diesem, wie er zu seinen Kursen geht. Die Baumkronen sind kahl.
    »Also.« Er klopft auf eine dicke orange Akte auf seinem Schreibtisch. »Hierherzukommen war nicht deine Idee, oder?« Er räuspert sich. Ein tiefer Klang.
    »Nein.«
    »Bist du unter Zwang hier?« Er sieht mich nicht an, als er das fragt, stattdessen schaut er in irgendwelche Notizen. Diese orange Akte ist meine. Er hat schon eine Akte über mich.
    »Nein. Damit will ich sagen, ich bin hier. Es war nicht meine Idee, aber ich bin hergekommen.«
    Er schreibt in die Akte. Hebt eine Seite an, liest was. Ob meine Mom ihm wohl meine Unterlagen geschickt hat? Er greift nach links und nimmt sich eine andere Akte, eine blaue, zieht noch mehr Papiere raus. Die steckt er in das orangefarbene Konvolut.
    Dann lässt er den Aktendeckel zuklappen und sieht mich an. Legt den Stift hin. Faltet die Hände über dem Bauch.
    Schweigen.
    Ich starre ihn nieder. Das hier kommt mir vor wie ein Trick. Wahrscheinlich soll ich unter seinem unbeirrten Blick total auspacken. Nein danke. Was ich auch sage, wird umgeformt, zurückgekickt. So viel weiß ich noch. Mom hat mich mehr als ein paar solcher Termine abnudeln lassen.
    »Wie geht es dir?«, fragt er schließlich.
    Was für eine blöde Frage.
    »Mir geht es gut. Und nennen Sie mich bitte Wren.«
    Ich räuspere mich. Mein Hals fühlt sich eng und unzuverlässig an.
    »Okay, Wren. Letztes Jahr hast du einen Schicksalsschlag erlitten, wie ich sehe.« Zeigt auf die Akte.
    Schicksalsschlag.
    »Deine Mutter scheint besorgt darüber zu sein, wie du damit umgehst.«
    Ich nicke.
    »Wie gehst du damit um, was ist dein Gefühl?«
    Was sind denn das für Fragen? Dafür bezahlen wir ihn? Ein Paradebeispiel von Seelenklemptner, der auf psychologisch fragt: »Was geht ab?« Ich wende den Blick von ihm ab.
    »Mir geht’s gut«, sage ich noch mal. »Ich meine, ich … wie soll ich Ihnen so eine Frage beantworten?« Wut schleicht sich in meine Stimme, zittert in meiner Hand. Das hat er gewusst. Ich durchschaue sein Spiel. Eins zu null für Dr. Lang.
    Er lehnt sich zurück, führt schweigend einen weiteren Doktorzug aus.
    »Mir geht es gut.« Ich sage das mit mehr Sicherheit. Vielleicht klappt das so. Das ist der Trick. Er wird mich »Mir geht es gut« so oft wiederholen lassen, dass ich, wenn ich gehe, überzeugt davon sein werde, glücklich und bestens angepasst zu sein. Mir geht es gut, mir geht es gut, mir geht es gut.
    »Dein Freund ist gestorben.«
    Ein Schicksalsschlag. Tränen laufen mir über die Wangen, obwohl ich nicht weine. Meine Augen machen ihr eigenes Ding.
    »Und da war noch mehr, nicht wahr?«
    Ich nicke.
    Er wartet.
    »Wir waren mitten in einem Streit. Ich wurde eigentlich nicht verletzt. Es hat mich traurig gemacht. Es macht mich traurig. Ich will einfach nur eine Zeit lang still sein. Es hat mich traurig gemacht.«
    Panik fliegt mich an, dass ich das immerzu wiederholen werde und nicht wieder aufhören kann.
    Tief Luft holen.
    Noch mal.
    Ich wische

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