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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy McNamara
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mir mit dem Ärmel meines Sweatshirts die Augen.
    »Wie schläfst du?«, fragt er nach einer Weile. Er nimmt seinen Stift zur Hand.
    »Wie ein Baby«, lüge ich.
    »Wirklich?«, sagt er. »Denn in meinen Notizen steht, dass dein Rezept für ein Benzodiazepin ziemlich regelmäßig erneuert wird. Leidest du unter Panikattacken?«
    Ich schüttele den Kopf. Klingt nicht nach was, das ich in meiner Akte haben möchte.
    »Wann nimmst du die Tabletten dann?«
    »Ich nehme sie, wenn ich nachts aufwache, was ab und zu vorkommt. Oder wenn ich nicht einschlafen kann. Das ist alles.«
    Mein Herz trommelt so komisch. Ich zieh mir die Ärmel über die Hände.
    »Das klingt defensiv«, sagt er und mustert mich. »Nicht nötig. Ich werfe dir nichts vor. Du nimmst sie, wenn du sie brauchst. Und genau das sollst du auch tun.«
    Er macht eine schnelle Notiz auf einem Block, während er das zu mir sagt, ohne dabei den Blick von meinem Gesicht zu lösen. Es ist seltsam, ein bisschen amphibisch oder so.
    »Hast du in letzter Zeit eine Veränderung in deinem Schlafrhythmus oder beim Appetit bemerkt? Des allgemeinen täglichen Energieniveaus?«
    Blick auf mich gerichtet.
    »Ich fühle mich genauso wie immer, seit ich hier hochgekommen bin.«
    »Und wie ist das?«
    Ich schweige.
    »Wie fühlst du dich? Seit du hier hochgekommen bist?«
    »Ich will allein sein. Still. Ich will, dass sich nicht mehr alle darum kümmern, wie ich mit meinen Angelegenheiten umgehe.«
    Er nickt. »Das verstehe ich.«
    Macht noch ein paar Notizen.
    Ich atme aus. Ich hab die Luft angehalten. Irgendwie krieg ich das nicht richtig hin. Das Atmen.
    Er lehnt sich in seinem Stuhl zurück, dann wieder vor. Das erzeugt ein müde quietschendes Geräusch.
    »Ich werde dir ein paar Fragen stellen, um Klarheit zu gewinnen, ob du vielleicht von der Einnahme eines Antidepressivums profitieren könntest.«
    Ich schüttele den Kopf. Kommt gar nicht infrage.
    »Nein?«, sagt er.
    »Nach dem Unfall musste ich so was einnehmen. Ich hab es gehasst. Ich hab mich dumpf und seltsam gefühlt.«
    Er schaut wieder in meine Akte, macht weitere Notizen.
    Ich fange an, mit dem Knie zu wippen. Schaue raus auf die kahlen Baumwipfel, bekämpfe den überwältigenden Drang, diesen Termin jetzt sausen zu lassen. Aufstehen, danke, aber nein danke sagen und einfach zur Tür rausgehen. Frei sein.
    »War das vielleicht in der Zeitspanne, in der du elektiv stumm gewesen bist?«
    Elektiv stumm. Unglaublich. Es gibt für alles einen Begriff. Ich seh ihn an, als ob ich keinen verdammten Schimmer hätte, wovon er redet.
    »Die Antidepressiva«, sagt er. »Hast du die während der Zeit genommen, in der du nicht gesprochen hast?«
    Ich nicke. Dann schüttele ich den Kopf.
    »Meine Erinnerungen an den zeitlichen Verlauf sind etwas lückenhaft«, sage ich schließlich. »Ich hab aufgehört, sie zu nehmen, als die Leute aufhörten, mich zu beobachten, wenn ich irgendwas geschluckt habe.«
    Ich schließe die Augen. Erinnere mich, wie ruhig ich mich damals gefühlt habe. Stille.
    »Und wann hast du wieder angefangen zu sprechen?«
    »Ich glaub im August. Sonst hätte meine Mutter mich nicht weggelassen. Ich wollte raus aus der Stadt. Hier hochkommen. Sie wollte mich nicht gehen lassen, weil sie dachte, ich wäre völlig neben der Spur.«
    Er zieht die Augenbrauen hoch. Und ab geht’s.
    »Und so hast du dich gefühlt? So fühlst du dich?« Er schaut mir direkt in die Augen, als ob er mich hypnotisieren wollte. »Völlig neben der Spur?«
    Ich könnte lachen, lauthals. Über ihn. Stattdessen entwischt mir eine weitere Träne. Ich beschwöre meinen inneren Sturkopf. Noch mehr Tränen. Ohne mich aus den Augen zu lassen, schiebt er eine Schachtel Papiertaschentücher über den Tisch. Dieses Multitasking lässt ihn wie eine Art Alien wirken. Es ist gruselig. Ich nehme eins von seinen Taschentüchern und knülle es zusammen, wische mir die Wangen mit dem Handrücken ab.
    »Mir geht es gut.«
    Er seufzt. Ich glaub, so was sollen sie nicht tun. Er trägt noch etwas in meine Akte ein. Ich will das Ding von seinem Tisch reißen und in meine Tasche stopfen. Das gehört mir. Mehr Kniewipperei.
    »Deine Mutter hat erwähnt, dass du kürzlich wieder eine stumme Phase hattest. Wie empfindest du das, würde mich interessieren? Was bringen sie dir, diese Zeiten, in denen du aufhörst zu sprechen?«
    Ich würde aus dem Stand wieder damit anfangen, wenn ich nur dahin zurückfinden könnte. Ich erzähl ihm nicht, wie es auftaucht, auf

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