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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy McNamara
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reden.«
    In meinen Ärmeln sind die Hände zu Fäusten geworden.
    Er nickt mir langsam zu, als ob er etwas verarbeiten würde.
    »Mit ›Fehltritt‹ meinst du deine Schwangerschaft?«
    Er muss die ganze verdammte Akte gelesen haben, bevor ich hergekommen bin.
    Ich nicke.
    Schweigen.
    »Ich war so dicht dran, mit allem fertig zu sein. Schule. Kindheit …«
    Tränen.
    »Ich verhalte mich nie verantwortungslos. Es war so dumm. Ich hab auch keine Entschuldigung dafür. Ich hab diese eine total blöde Sache gemacht, und die hat alles zerstört.« Ich möchte in dieser Couch verschwinden, schrumpfen und weggeweht werden. Mit dem Ärmel wische ich mir das Gesicht ab.
    Wie ein Richterhammer erhebt sich sein Stift und bleibt einen Moment in der Schwebe.
    »Ist es möglich«, sagt er und setzt die Spitze auf die Seite, »dass du auf einer Ebene …«, er zieht die Worte in die Länge, während er etwas schreibt, »auf einer Ebene zugelassen hast, schwanger zu werden, um dich den Plänen deiner Mutter für dich zu widersetzen? Sie hat mir erzählt, dass ihr einige Auseinandersetzungen über deine Wahl der Uni hattet?«
    Das nimmt mir den Wind aus den Segeln. Er glaubt, dass ich es mit Absicht gemacht habe? Es ist alles meine Schuld, alles, was passiert ist. Und er sieht es genauso deutlich wie ich.
    »Das ist lediglich etwas, worüber du nachdenken kannst, womit du dich beschäftigen kannst, bis wir uns wiedersehen.«
    Hier drinnen, in mir, ist keine Luft, denn der Doktor hat sie weggeatmet, riesige, saugende Atemzüge, die mir allen Schutz wegreißen, alle Möglichkeiten, mich zu verstecken. Ich mache die Augen zu. Mache sie wieder auf. Schnell. Ich will ihm nicht noch mehr Stoff für seine Notizen geben.
    Er legt den Stift weg, schaut auf, lächelt. Wie kann er mich anlächeln, wenn er weiß, wer ich bin?
    »Wir haben einen guten Anfang gemacht, Wren. Wir haben Optionen. Manchmal führt Trauer zu Depressionen. Bei manchen Leuten. Wir werden im Gespräch bleiben, zunächst einmal die Woche, dann alle vierzehn Tage, bis wir meinen, die Dinge im Griff zu haben. Einige deiner Gedanken über den Unfall, den du hattest, und wie du deinen Anteil daran siehst, würde ich mit dir gern genauer untersuchen.«
    Ich fröstele, ziehe mir den Mantel an. Wir sind gleich am Ende. Hat er selbst gesagt.
    »Du bist ein starkes Mädchen«, sagt er, mit einem Blick auf meinen Mantel. »Das sehe ich. Wir werden zusammenarbeiten, bis du das Gefühl hast, das Geschehene aus einer günstigeren Perspektive sehen zu können. Einverstanden?«
    Er sucht mein Gesicht nach einer Reaktion ab. Selbst wenn ich wollte, könnte ich es nicht aus seiner Versteinerung lösen.
    »Bevor du gehst, wollen wir versuchen, dich aus dem Tief herauszuholen und deine Optionen noch mal zu überdenken. Mit etwas Milderem, das besser für dich geeignet ist als das, was du bisher genommen hast?«
    Ich nicke benommen, will aufstehen. Er hebt die Hand, stoppt mich. Ich setze mich wieder.
    »Deine Reaktion auf das Geschehene ist nicht ungewöhnlich.«
    Ich nicke, klar, egal, denn wenn ich es nicht tu, komme ich hier nie raus.
    Dadurch ermutigt fährt er fort. »Ich rede von einem anderen Antidepressivum. Im Moment ist alles sehr schwer für dich, und so schwer muss es nicht sein.«
    Ich nicke wieder. Ich will hier raus, unbedingt, ich hab schon einen metallischen Geschmack im Mund.
    Er schlägt die orangefarbene Akte auf. Konsultiert ein dickes Handbuch, stellt noch mehr Fragen. Über mein Gewicht, Energie, Schlaf, Appetit. Auf einem leeren Blatt Papier zeichnet er ein kleines Diagramm. Es geht ums Gehirn. Wie unterschiedliche Drogen es beeinflussen. Es gibt jede Menge Pfeile nach oben und unten.
    Endlich verlasse ich seine Praxis, zittrig, mit einer Handvoll neuer Rezepte und einer Karte mit dem nächsten Termin. Auf dem Weg zum Parkplatz überquere ich den Hof und schaue die Zettel in meiner Hand an. Neues Rezept für die Schlaftabletten. Ich stecke es in die Tasche. Zwei verschiedene Antidepressiva. Die Karte mit dem Termin. Die werfe ich in den ersten Abfalleimer, an dem ich vorbeikomme.
    Das Lenkrad vibriert unter meinen Händen, als ich die 100 überschreite. Ich muss ein paar schnelle Kilometer zwischen mir und diesem Termin schaffen.
    Hast du einen Plan?
    Hab ich einen Plan. Ich halte die Hände fest auf Zehn und Zwei, so, wie man es uns in der Fahrschule beigebracht hat, versuche, nicht in die Scheinwerfer jedes entgegenkommenden Autos zu schauen. Ich könnte nie einen

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