In alter Freundschaft - Kriminalroman
trinken? Zehn Getränke am Abend sind frei.«
»Ein Wasser«, bestellte ich.
»Wasser?« Sie guckte mich wieder mit dem Blick an, den die Rosenverkäufer in den Kneipen jeden Abend ertragen müssen. »Bist du so 'n Ök?«
»Ich habe Neurodermitis und vertrage keinen Alkohol.«
»Neuro was?«
»Eine Hautkrankheit, die erträglich ist, wenn man eine Diät einhält.«
Ihre Augen wurden größer. Vermutlich dachte sie an den Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten. Mit spitzen Fingern stellte sie mir eine Flasche Wasser und ein Glas hin. Hätte ich doch bloß den Mund gehalten. Meine Offenheit brachte mich um den letzen Rest an Kollegialität.
Der Abend wurde ruhig. In der Discothek waberte ein Plastiksound, bei dem der Übergang von einer Platte zur anderen nur an den Handbewegungen des Discjockeys zu erkennen war, und der völlig überdrehte Bass ließ einem das Zwerchfell zittern. Ich sammelte leere Gläser ein und stellte sie Sonja hin, die jeden Körperkontakt mit mir vermied. An ihrer Seite arbeitete Toni, der nur die Hälfte von dem erzählte, was Sonja so redete, und das war auch nicht viel mehr als die Zeitansage bei der Post.
An der anderen Theke zapfte Natascha, die eigentlich Wolfgang hieß und gelegentlich im Rahmen einer Travestieshow auftrat. Natascha stand offensichtlich auf Männer, doch die durften höchstens so alt sein wie mein Sohn, den ich vor achtzehn Jahren hätte zeugen können.
Überhaupt war ich im Schnitt fünfzehn Jahre älter als das Publikum und damit stand ich für die allermeisten kurz vor der Siechenstation.
Ab und zu durfte ich den Muskelmännern an der Kasse, die ihre anabolikagefütterten Schwellungen unter Jogging-Anzügen versteckten, ein Bier bringen. Leider nahmen sie Männer mit einem Oberarmumfang unter fünfzig Zentimetern nicht ernst. So scheiterten meine Annäherungsversuche an diesem Abend wie der Versuch eines Kaninchens, mit einer Schlange über Mohrrüben zu diskutieren.
Am Ende, so gegen drei, als die Teenies längst gegangen waren und die letzten Säufer sich ellipsenförmig durch den Raum bewegten, ließ ich mir von Sonja ein Bier zapfen. Ich betrachtete das einerseits als Versuch, meine Frustration zu bekämpfen, und andererseits als eine Art Wiedergutmachung.
»Was hast du noch mal?«, fragte Sonja mit schiefem Lächeln.
Ich winkte ab.
VI
Das Haus in der Bahnhofstraße, neben dem Parkhausneubau, war abbruchreif. Zumindest hatte der Hauseigentümer seit vielen Jahren keine Reparaturen mehr machen lassen, sodass er jetzt, mithilfe von ein paar Tausendern Schmiergeld, auf eine Abbruchgenehmigung des zuständigen Beamten hoffen durfte.
Ich drückte auf die Klingel, über der ein Schild mit vier krakeligen und halb verschwommenen Namen klebte. Pro forma, denn die Haustür stand weit offen und ließ den Blick frei auf einen mit Werbezetteln, Zeitungen und anderen Abfallen übersäten Flur. Vermutlich hatte er in der letzten Nacht einem Penner als Schlafplatz gedient, denn zwei leere Kornflaschen standen auch herum. Die Briefkästen auf der rechten Seite waren alle aufgebrochen.
Ohne auf das Summen zu warten, stieg ich die abgeschabte Holztreppe hinauf. In der zweiten Etage öffnete sich eine Tür und eine Frau mit langen schwarzen Haaren und einer unförmigen Blümchenhose guckte mich finster an.
»Hallo. Ich suche Klaus Breider.«
Sie drehte sich um und schrie: »Klaus! Besuch für dich.«
Damit war unser Gespräch beendet und ich wartete einige Sekunden in dem mit einer braunen Basttapete zugeklebten Flur. Schließlich kam Klaus aus dem Zimmer hinten rechts. Er trug Jeans, einen ins Gräuliche übergehenden gelben Pullover, lange, fettige Haare und eine Nickelbrille. Er lächelte mich an.
»Ich heiße Georg Wilsberg und bin ein Freund von Ines«, begann ich.
Sein Lächeln erstarb. »Ines? Ja, sicher, ich erinnere mich. Worum geht's denn?«
»Sie ist tot«, sagte ich. »Genauer gesagt, ermordet worden. Und ich würde mich gerne mit dir darüber unterhalten.«
Unwillkürlich wich er einige Zentimeter zurück. »Ermordet, sagst du. Wer könnte so etwas tun?«
»Darüber möchte ich mich ja gerade mit dir unterhalten. Können wir vielleicht in dein Zimmer gehen?«
Er blickte sich hektisch um. »Jaja sicher.«
Der Lärm der Bahnhofstraße drang fast ungefiltert durch die porösen Fensterrahmen. Das Bett war aufgeschlagen und auf einem kleinen Tischchen lag ein Buch, in dem es dem Titel nach um Ying und Yang und die orientalischen
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