In Blut geschrieben
Bob?«
Brolin fügte eine zweite Hundert-Dollar-Note zu der ersten hinzu.
»Das ändert alles. Bob ist einer der Verkäufer, die hierher kommen.«
Nach dem kräftigen Adrenalinschub spürte Brolin, wie ihm überall auf dem Körper der Schweiß ausbrach. Er hatte jetzt sogar feuchte Hände.
»Und ist er da?«, fragte er nervös.
»Nein, heute nicht, er ist nicht so oft hier.«
»Und weshalb kommt er? Um zu verkaufen?«
Der Mann nickte.
Von einer schrecklichen Ahnung erfasst, beugte sich Brolin zu dem alten Mann vor.
»Sagen Sie mir, was verkauft Bob hier?«
Der Fälscher wirkte plötzlich fast peinlich berührt. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
»Jedem sein Ding. Wie Sie bemerkt haben, findet man hier alles. Und es gibt Käufer für alles. So verrückt das erscheinen mag, doch auch Bob hat seine Kunden, sogar Stammkunden.«
»Was verkauft er?«, beharrte Brolin.
Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt.
Sein Gegenüber schluckte schwer, das Gesicht zu einer Grimasse verzogen. »Er verkauft Menschenfleisch.«
61
Annabel traute ihren Augen nicht.
»Wie? Was willst du damit sagen?«, fragte Jack Thayer gereizt. »Was soll man denn anhand dieser Abzüge verstehen können?«
Die junge Frau nahm zwei Fotos ein und desselben Opfers – eines aus der Zeit vor, das andere aus der Zeit nach der Entführung.
»Vergleich die beiden. Fällt dir nichts auf?«
Nachdenklich rieb sich Jack das Kinn.
»Nacktes Grauen … Was meinen Sie, Sheriff?«
Eric Murdoch trat näher, um sich die Aufnahmen genauer anzusehen.
»Der Mann hier ist sehr blass, vorher war er eher braun gebrannt«, meinte er. »Finden Sie nicht?«
»Nicht nur«, erwiderte Annabel. »Wenn ich Ihnen sage, dass dieses Foto fast drei Monate nach der Entführung aufgenommen wurde, sticht Ihnen dann nichts ins Auge?«
Die heitere Miene, die auf der ersten Aufnahme zu sehen war, war schierem Entsetzen gewichen; ansonsten aber war der Mann rein äußerlich vollkommen gleich geblieben. Gut, das Haar war etwas länger und ungekämmt, und er hatte einen Bart, doch die einzige grundlegende Veränderung war in seinem Blick und nirgendwo sonst zu erkennen.
»Sehen Sie sich doch mal das Gesicht an!«, rief Annabel. »Seine Wangen sind genauso rund wie vor der Entführung, er hat nicht an Gewicht verloren. Und wenn Sie sich die der übrigen Geiseln anschauen … bei denen ist es nicht anders. Sie müssen alle mindestens genauso viel wie vor ihrer Entführung wiegen, wenn nicht sogar mehr. Sie bekommen während ihrer Gefangenschaft offensichtlich reichlich zu essen. Sogar mehr als nötig. Jack, wenn du an die Tätowierungen denkst, die alle haben, was fällt dir dazu ein?«
»Sie sind wie Brandzeichen, oder?«
»Genau! Wie bei Tieren. Die Anhänger des Caliban-Kults stellen sich eine Herde zusammen. Jack, das ist es, eine Herde, der sie ihr Brandzeichen aufdrücken!«
Sie begriff die ganze Tragweite ihrer Worte erst, nachdem sie bereits ausgesprochen waren.
Fotos von wohlgenährten Opfern und Skelette, deren Fleisch man sorgfältig abgelöst hat …
Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen, und alles fügte sich zu einem logischen Ganzen zusammen, das Bobs Motiv deutlich machte.
»Sie mästen sie, bevor sie sie verspeisen!«, rief sie aufgeregt.
»Das ist doch absurd!«, konterte Sheriff Murdoch und schüttelte schockiert den Kopf.
»Ich bitte Sie, denken Sie einmal ernsthaft nach!«, fuhr er fort. »Wir leben schließlich im einundzwanzigsten Jahrhundert, da gibt es doch keinen Kannibalismus mehr!«
»Nein, im Gegenteil, sie hat Recht«, widersprach ihm Thayer. »Das erklärt noch einleuchtender, warum sie den Namen Caliban gewählt haben. Es handelt sich dabei nicht nur um eine Figur aus einem Stück von Shakespeare, sondern um ein Anagramm, um einen Buchstabenwechsel des englischen Wortes caníbal.«
Er war bestürzt. Das Anagramm war so eindeutig zu erkennen gewesen, dass er es nicht ernsthaft hatte in Betracht ziehen wollen, obwohl er bereits ganz am Anfang der Untersuchung an diese Möglichkeit gedacht hatte.
»Verdammt!«, fluchte Annabel. »Stell dir vor, wir haben es mit einer Kannibalensekte zu tun, Bob ist der Anführer einer Sekte von Menschenfressern!«
Sie dachte sofort an die Familie auf dem Foto, das dem Mädchen an die Brust geheftet worden war. Dann an Rachel Faulet. Ihr Verschwinden lag nicht sehr lange zurück. Es bestand die Möglichkeit, dass sie noch lebte, darauf wartete, von den Kannibalen getötet zu
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