In Blut geschrieben
sah er die ersten Totenkammern. Hohlräume mit den zerfallenen verwitterten Skeletten eines Indianerstamms und mit Dutzenden von brennenden Kerzen. Die Flammen zitterten zwischen den Schädeln und Brustkörben, das Wachs bildete an Schenkel- und Beckenknochen perlende Hügel. Gewöhnlich ist das Duell zwischen Licht und Dunkel gnadenlos, eine offene mörderische Feldschlacht, ohne Halbherzigkeiten geführt. Hier dagegen verbreiteten die Kerzen friedlich ihren Schein, umschmeichelten zärtlich das Dunkel, teilten sich gewaltlos das Territorium im endlosen Tanz des Windhauchs.
Brolin bückte sich, um durch einen Lanzettbogen hindurchzugehen, und trat ins Zentrum der unterirdischen Totenstadt. Dieser gewaltige kreisförmige Raum führte zu weiteren, ebenfalls in Kerzenlicht getauchten Grabkammern. Im Kontrast dazu mehrere Campingtische und Klappstühle, auf denen zwei Männer von Enriques Gang saßen. Beide hatten schwarze Tücher um die Stirn gebunden und sahen eher wie brutale Zerberusse denn wie friedvolle Wegbegleiter aus. Eine Desert Eagle 357 Magnum und eine Kalaschnikow AK47 lagen vor ihnen auf dem Tisch zwischen zwei Metallkästen, einem Kassenbuch und mehreren Magazinen.
Enrique deutete mit dem Finger auf Brolin und sagte etwas auf Spanisch zu seinen Komplizen, die nickten, ohne den Neuankömmling aus den Augen zu lassen.
Dann deutete Enrique auf ein klaffendes Loch in der Wand.
»Dort ist der Eingang, du stellst deine Fragen, kaufst dir, was du dir kaufen wolltest, kommst dann wieder her, und ich bringe dich zurück an die Oberfläche. Die Kerle, die da drin sind, kommen hierher, weil wir für Sicherheit und Kundschaft sorgen; wer sie sind und was sie tun, ist uns egal, verstanden? Wenn du Dinge siehst, die dir nicht gefallen, gehst du weiter und machst keinen Ärger, so funktioniert das hier. Wir nehmen fünfzehn Prozent von allen abgewickelten Geschäften, der Rest hat keine Bedeutung. Also, du erledigst dein Geschäft und hältst die Klappe, ist das klar?«
»Absolut.«
»In Sachen Drogen wie Marihuana, Koks, Crack und Heroin verhandelst du direkt mit uns.«
»Kein Bedarf, danke.«
Brolin wandte sich ab und ging zu dem Eingang. Er senkte den Kopf und setzte den Fuß über die Schwelle.
Weitere Tische, Sturmlampen als einzige Beleuchtung und Gesichter.
Unrasiert, gelbe Zähne, fiebrige Augen, gut oder schlecht frisiert, gepflegt gekleidet oder wie Penner, so waren die Burschen mit ihren »Ständen« ähnlich verschieden wie das, was sie anboten.
Der Erste hatte auf einem Stück Stoff Dutzende von Stichwaffen ausgebreitet, daneben etwa zwanzig Feuerwaffen, darunter zwei Sturmgewehre. Brolin war versucht, einen Revolver zu kaufen, denn er musste unbedingt seine Glock loswerden. Doch das hier angebotene Material konnte durchaus bei irgendeinem Verbrechen zum Einsatz gekommen sein, womit ihm wiederum nicht gedient wäre.
Ein paar Schritte weiter saßen hinter einem Tisch gleich zwei Männer mit kahl rasierten Schädeln, die Nazi-Dolche, wahrscheinlich authentische, anboten.
Als Brolin vorbeikam, rief ihm der Jüngere – er schätzte ihn auf knapp achtzehn – diskret zu: »Sie sind echt. Hier, sieh doch mal, es ist sogar das SS-Abzeichen auf dem Stichblatt eingraviert, schau.«
Er lächelte verschmitzt und fügte hinzu: »Sie wurden benutzt, da kannst du Gift drauf nehmen, sie haben das Blut dieser Ratten spritzen lassen, wenn du verstehst, was ich meine.«
Brolin biss die Zähne zusammen und verkniff sich einen Kommentar. Neben den Dolchen ein Soldatenhelm der Wehrmacht, weitere Kriegsdevotionalien und ein Stapel mit Neonazi-Literatur. Beim Weitergehen bemerkte er die Hakenkreuzfahnen, die hinter den beiden braunen Brüdern an der Wand angebracht waren.
Auf den Nachbartischen türmten sich Sado-Maso-Utensilien und allerhand sexuelles Folterwerkzeug neben Stapeln von Videokassetten ohne Hülle. Der Verkäufer, der Brolins Blick folgte, trat näher.
»Ist genau das, was du denkst. Alles garantiert echt und nicht gespielt. Hier geht’s richtig zur Sache bis zum bitteren Ende.«
Brolin hob die Augen zu dem dürren rothaarigen Riesen mit den vorstehenden Zähnen, der ihn angesprochen hatte.
»Es heißt, Snuff ist nur Bluff, nur ein Märchen, aber hier bekommst du das Gegenteil bewiesen. Du hast freie Wahl, ich hab welche aus Asien, aus Russland, aus Afrika, zwei sogar made in USA – eine Amerikanerin, die erst durchgevögelt und dann erledigt wird. Das hier ist wirklich harter Stoff, die Typen
Weitere Kostenlose Bücher