In Blut geschrieben
Mühlrad. Das ehemalige Museum verfügte im Untergeschoss noch über eine solche Installation sowie über verschiedene Räume und Gänge, die jetzt unbenutzt waren. Der ideale Ort für Caliban, um seine Opfer gefangen zu halten. Durch den Museumserwerb war er außerdem in den Besitz einer Foto- und Postkartensammlung gelangt, die den Kanal zeigte. Und dort lag sein Fehler. Um seinen Nachrichten sozusagen einen Stempel aufzudrücken, hatte er Bob einen Stapel Karten überlassen, die ihn letztlich verraten hatten.
Als Brolin Newark hinter sich gelassen hatte, steigerte er das Tempo; um diese Zeit herrschte kaum Verkehr.
Es ärgerte ihn, dass er nicht wusste, wie er Annabels Kollegen Thayer erreichen konnte. Wenn er jetzt irgendeine Polizeidienststelle anrufen würde, um zu melden, dass der Sheriff eines kleinen Ortes in New Jersey ein gefährlicher Psychopath sei, würde man ihn entweder abwimmeln oder auffordern, vorbeizukommen, um Anzeige zu erstatten. Niemand würde einfach auf Verdacht mitten in der Nacht eine Patrouille zum Haus des Sheriffs schicken. Unterwegs bei einem Polizeirevier zu halten würde zu viel Zeit kosten.
Plötzlich überkam ihn panische Angst. Er hatte den Eindruck eines Déjà-vu – ein Albtraum, der schon weit, sehr weit zurücklag und ihn seither verfolgte … Der Tod der Unschuld, weil er nicht schnell genug gewesen war.
Die Tachonadel kletterte auf über hundertachtzig Stundenkilometer.
Er spürte seine Glock im Rücken. Er würde sie benutzen, auch wenn ihn das ins Gefängnis brächte. Wenn er Murdoch tötete, würde man die Patronen untersuchen. Die Analyse der Rillen ergäbe quasi den »Fingerabdruck« seiner Pistole, und bei einem Abgleich mit der Datenbank würde sich herausstellen, dass sie aus derselben Waffe stammten, mit der auch Lucas Shapiro getötet worden war.
Langsam verschwanden die letzten städtischen Ausläufer, und die Natur gewann die Oberhand: hier und da ein Wäldchen, ein zugefrorener Teich oder schneebedeckte Felder.
Die Fahrbahn kam ihm wie ein Rollteppich vor, der sich in entgegengesetzter Richtung bewegte.
Brolin umklammerte das Lenkrad und gab Vollgas.
73
Annabel hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten.
Sie konnte sein Lachen nicht länger ertragen. Das gellende Gelächter eines Wahnsinnigen. Caliban weidete sich an ihrer Angst. Wie er diese Augenblicke liebte; das Gefühl, einen Menschen psychisch zu vernichten, ihn zu zerstören.
»Das Leben, Annabel, ist pure Ironie. Die Katastrophen entstehen aus guten Absichten, das ist die einzige Lehre, die wir aus der Geschichte ziehen können. Nehmen Sie zum Beispiel die arme Rachel, die Ihr Privatdetektiv überall sucht wie ein braver Hund. Wissen Sie, was? Ich habe sie ausgewählt, weil sie schwanger ist; ihre Schwester hat es mir erzählt. Sie ist eine Freundin, Megan Faulet. Wenn Megan mir nichts von der Schwangerschaft ihrer Schwester erzählt hätte, wäre Rachel jetzt nicht hier! Ist sie nicht herrlich, die Ironie des Lebens?«
Er musste über seinen eigenen Sarkasmus lachen. Annabels Stöhnen zeigte ihm, dass sie bald so weit war. Es würde nicht mehr lange dauern, dann würde er ihr die ganze Größe seines Genies beweisen. Diese wunderbare Erfindung, sein System, um wirklich jeden in den Wahnsinn zu treiben. Er pflegte seine Taten sonst vor niemandem zu rechtfertigen, in diesem ganz speziellen Fall aber, vor der Frau, die ihm nachgestellt hatte, war es ein besonderer Spaß, ihr alles zu enthüllen, zumal es das ideale Mittel war, sie in Panik zu versetzen und vollends aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Er beschloss, sein Spielchen noch etwas weiter zu treiben, ein letztes Mal, um es dann zum Abschluss zu bringen.
»Ich habe wirklich geglaubt, dass Sie alles verstanden hätten, als sie die Skelette in dem Eisenbahnwaggon fanden. Ich muss zugeben, das war ein harter Schlag für mich. Jetzt, da bin ich mir sicher, fügt sich das Puzzle zusammen, oder? Die geöffneten Schädel, die Schienbeine, die bei einigen fehlten … Noch immer nicht? Ich bitte Sie, Annabel! Wissen Sie, wie die Kniepartie beim Kalb beschaffen ist? Das lässt sich mit menschlichen Knochen sehr gut nachbilden, man braucht dazu das Stück unterhalb des Knies. Nun, kommen wir zum großen Finale: Sie wissen, dass Lucas mehrere Geschäfte mit Fleisch beliefert hat. Er fuhr zum Großmarkt, kaufte, was er brauchte, und schweißte die Stücke bei sich zu Hause in Plastikfolie ein. Und wenn ich Ihnen jetzt gestehen würde, dass er
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