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In Blut geschrieben

In Blut geschrieben

Titel: In Blut geschrieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxime Chattam
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über den Menschen. Durch diesen Akt katapultierte ich mich mit einem Schlag an die Spitze der Nahrungskette, ich stand über den Menschen. Es war ein Festschmaus. Ich war allein an der Spitze der Pyramide. Annabel, Sie können sich nicht vorstellen, wie energiegeladen und mächtig man sich fühlt, wenn man anschließend durch die Menge schlendert, Männer und Frauen mit den Augen verschlingt und weiß, dass es ein Kinderspiel ist, sie zu besitzen. Man geht nicht mehr, man schwebt und man weiß, man ist allen anderen überlegen. Und dieser Geschmack … In seinem Raffinement und in seiner Zartheit mit keinem anderen Fleisch vergleichbar, glauben Sie mir. Unbewusst spürt der ganze Körper, dass er Fleisch der eigenen Spezies zu sich nimmt, das gibt ein Gefühl von Zugehörigkeit, von Erkennen, der Kreis schließt sich.«
    Annabel musste gegen einen Brechreiz ankämpfen.
    »Sie sind … ekelhaft«, stieß sie mühsam hervor.
    »Oh! Was reden Sie da? Ich bin genau wie Sie, der einzige Unterschied ist, dass ich bewusst lebe. Ich bin aufmerksam und nähre mich nicht von der Heuchelei Ihrer Gesellschaft! Nehmen Sie zum Beispiel die Rinderzucht, diese armen Viecher, die man zu Nahrung auf vier Beinen reduziert hat, ein schäbiger Ersatz für perfektes Fleisch, für Menschenfleisch. Sie werden mit Tiermehl gefüttert, aber wussten Sie, dass dieses Mehl auch menschliche Plazenta enthält? Wussten Sie, dass menschliche Plazenta und Föten bei kosmetischen und pharmazeutischen Laboren heiß begehrt sind? Weltweit stellen diese Großkonzerne Medikamente aus eben diesen Stoffen her. Tausende von Frauen schlucken nach der Entbindung zur Stärkung und Erholung Tabletten, die auf der Basis von Plazenta hergestellt werden.«
    Sein Ton wurde aggressiver, höhnischer.
    »Ach, ich höre Sie schon, die Skeptikerin! Sie wollen konkrete Beispiele? Ja? Na gut, nehmen Sie Urokinase, ein Herzmittel, das aus menschlichem Urin gewonnen wird. Oder die zehn Personen in Pittsburgh, die nach einem Hirnschlag aus menschlichen Embryonalzellen gewonnene Neuronen injiziert bekamen. Was soll man von den Verjüngungskuren halten, die basierend auf Zellen von Föten oder menschlicher Plazenta hergestellt werden? Was Sie stört, ist nicht die Tatsache, dass ich töte, um mich zu ernähren, sondern dass ich Menschenfleisch esse. Weil das ein Tabu in unserer Gesellschaft ist, in der Sie leben – in einer Gesellschaft, die hingegen verlangt, dass man das Blut seines Gottes trinkt und sein Fleisch isst. Finden Sie das nicht etwas befremdlich? Und wenn nun Eva statt eines Apfels ein Stück Fleisch von Adam gegessen hätte, eine wahre fleischliche Sünde, eine Form, etwas von sich selbst zu geben, aufrichtige Liebe … Dann wäre die Welt anders, da können Sie sicher sein! Die Menschen sind scheinheilig, sie passen den Moralkodex ihren Bedürfnissen an: Heute führt man Transplantationen durch, ist das nicht auch eine Form von Kannibalismus? Natürlich erfolgt er nicht über den Mund, aber das Ergebnis ist dasselbe!«
    »Das ist etwas ganz anderes, Organtransplantationen retten Leben«, warf Annabel ein.
    »Hören Sie auf mit dem Unsinn! Wenn die Weltbevölkerung morgen Fleisch braucht, um zu überleben, wird man den Kannibalismus langsam, Schritt für Schritt, legalisieren. Bei all den Problemen, die es heute mit der Lebensmittelindustrie gibt! Man kann nichts mehr essen, ohne Gefahr zu laufen, daran zu krepieren.«
    Er hielt kurz inne, ehe er fortfuhr: »BSE, um nur eines zu nennen … Eine Krankheit, die das Gehirn zersetzt …«
    »Das ist doch absurd …«
    Annabel hatte Mühe zu sprechen, Caliban aber verlor sich in seinen Ausführungen. Sie musste ihn also ermuntern, so lange wie möglich weiterzureden.
    »Sagen Sie das nicht! Ich tue nur das, was morgen ohnehin erlaubt sein wird. Ich bin ein Vorreiter, das ist alles.«
    »Warum gerade diese Leute? Sie haben sogar Kinder getötet!«
    Caliban lachte zynisch.
    »Warum sie? Warum nicht andere? Stellen Sie sich in Ihrem Supermarkt an und sehen Sie sich um. Sie sind alle gleich. Die Antwort liegt in der Wahl der Opfer. Ich dachte, das hätten Sie begriffen … Ich habe nur das getan, was jeder Verbraucher bei einer neuen Produktpalette tun würde: Ich habe verglichen. Jugendliche, Männer, Frauen, Kinder. Ich habe versucht herauszufinden, ob es zwischen einer Mutter und ihrem Sohn, zwischen Geschwistern, zwischen den Rassen, den Geschlechtern und dem Alter einen Geschmacksunterschied gibt. So einfach ist

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