In deinem Schatten
mit breitem Gesicht, die aussah wie eine typische Mutter oder wie die gute Hexe aus dem “Zauberer von Oz”. Eigentlich war sie beides – und noch viel mehr. Sie sagte: “Hallo, Süße”, und hüpfte von ihrem Stuhl, um Maddie zur Begrüßung zu umarmen. “Hattest du heute Nachmittag eine Tarot-Sitzung? Ich sehe gar keine Termine im Kalender.”
Maddie schüttelte den Kopf. “Ich habe heute Abend einen Auftritt auf Long Island. Ein türkischer Herr wird neunzig, und fünf seiner Töchter haben für ihn eine Geburtstagsfeier organisiert. Mein Zug geht in eineinhalb Stunden, aber ich brauche einen Rat. Hast du jemals vom Glendower Building gehört?”
Diana kniff die Augen zusammen und dachte nach. “Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor …” Neben ihrer Arbeit als Buchhändlerin und ihrem Job in einer Kindertagesstätte für sozial schwache Familien schrieb Diana Artikel für ein Dutzend Zeitungen und Zeitschriften, die sich mit Okkultismus beschäftigten. Es gab sehr wenig, was sie nicht über Spukhäuser wusste. Und wenn ihr diesbezüglich etwas nicht bekannt war, wusste sie zumindest, wo sie sich Informationen beschaffen konnte. “Wo ist das denn?”
“Hier in der Stadt. Gleich drüben in der 29. Straße. Es ist das Gebäude, in dem sich das Dance Loft befindet. Im Erdgeschoss ist ein Laden für Tanzkleidung, darüber sind Lagerräume, dann kommen die zwei Etagen des Dance Loft, und die beiden oberen Stockwerke sind als Büros, Studios und Künstlerateliers vermietet.”
“Jetzt erinnere ich mich.” Diana nickte. “Du hast mal erwähnt, dass du es nicht besonders magst.”
“Ja, es ist ein unheimliches Haus”, sagte Maddie. “Ich habe mir nie erklären können, was genau damit nicht stimmt, aber damals war es der einzige Ort, wo ich für meine Tanzkurse Räumlichkeiten mieten konnte. Als Mrs. Dayforth mir meinen Kursraum dann wieder weggenommen hat, weil sie ihn anderweitig brauchte, war ich in Wahrheit sogar froh darüber.”
“Und dir kommt es vor, als hättest du dort irgendetwas Ungewöhnliches gesehen oder gehört?”
“Ich habe einen Mann gesehen – eine dunkle, gespenstische Gestalt, die mir in der Finsternis etwas zugeflüstert hat. Etwas Fürchterliches. Anfangs dachte ich, dass es sich dabei um jemanden handelt, den … nun ja, den Tessa kennt und der jetzt in dem Haus lebt, weil er keine Wohnung mehr hat. Aber mittlerweile habe ich diesen Mann besser kennengelernt, und er wirkt nicht wie jemand, der so etwas tun würde. Außerdem hat der ‘Flüsterer’ nach Tabak gerochen, und Phil raucht nicht. Und Phil hat erzählt, dass er seltsame Träume hat, seit er in dem Haus schläft. Er träumt von einem Feuer und von jungen Mädchen, denen wehgetan wird. Er meint, es wären nur Träume …”
Maddie brach ab und schwieg. Sie versuchte, Fakten von Gefühlen und Ängsten zu trennen. “Dazu kommt, dass Tessa sich in letzter Zeit merkwürdig benimmt”, fuhr sie fort. “Phil – er ist Ballettpianist im Dance Loft – meint, es würde an dem bevorstehenden Vortanzen für die ABA liegen, aber ich bin mir dessen nicht so sicher. Sie schlafwandelt und versucht dabei, mitten in der Nacht wieder in das Gebäude zu kommen. Beim letzten Mal ist sie, nur mit einem Nachthemd und einem Sweatshirt bekleidet, aus der Wohnung marschiert. Ich glaube, wenn Phil nicht zu der Zeit gerade aus der Oper gekommen wäre, wäre sie vielleicht wirklich auf der Straße erfroren.”
Sie drehte den Kopf und sah auf den Lichthof des kleinen Ladens hinaus. Der matschige Schnee von gestern Abend war gefroren und lag als schmutzig-graue Masse auf der Treppe, die von der Straße in den Hof hinunter führte. Draußen sah man am Bürgersteig die Stiefel und Mantelsäume der Passanten vorbeihuschen.
“Manchmal wiederum glaube ich, dass ich mir alles nur einbilde. Es ist so ähnlich wie mit diesen Wackelbildern, die jeweils etwas anderes darstellen, wenn man sie kippt und aus einem anderen Winkel betrachtet. Vielleicht hat Phil ja recht, und sowohl Tessas Stress als auch seine eigenen Ängste sind die Erklärung für all die merkwürdigen Sachen, die gerade passieren. Ich weiß es nicht. Für mich herrscht in dem Haus jedenfalls eine verpestete, morbide Atmosphäre. Besonders nachts. Andererseits strahlen für mich viele Häuser in New York so was aus.”
“Viele Häuser in New York haben ja auch eine Vergangenheit, in der sich so Abscheuliches ereignet hat, dass man es sich lieber nicht vorstellen
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