In deinem Schatten
möchte.” Diana nahm eine Tasse von einem Haken an der Wand hinter ihr, stand auf und schenkte sich Kaffee ein. Ihre langen, grauen Zöpfe, die ihr über einen selbst gewebten Schal über den Rücken fielen, reichten fast bis zur Taille. “New York ist eine alte Stadt und war schon immer ein Pflaster für Leute, die viel Geld verdienen wollten – und zwar ohne Rücksicht auf diejenigen, die sie dafür ausgebeutet haben.”
Sie setzte sich wieder auf ihren hohen Sessel, guckte auf den Monitor ihres Computers, tippte den Namen “Glendower Building” ein und ließ ihre Dateien nach dem Begriff durchsuchen. Maddie stützte sich mit einem Ellenbogen auf den Schreibtisch und betrachtete das interessierte und gütige Gesicht ihrer Freundin im Schein des flackernden Bildschirms.
“Nichts zu finden. Ich werde online gehen und versuchen, auf der Spirit-Guide-Website etwas zu finden, aber seit die Webseite aktualisiert und alle Daten neu sortiert wurden, findet man praktisch
überhaupt
nichts mehr. Und ich will mal sehen, was ich in den Aufzeichnungen der Versicherungsfirmen finden kann.” Kaum hatte sie auf das Symbol für die DSL-Verbindung geklickt, befand sie sich in den bunten, unendlichen Weiten des Internets und musste jede Menge Pop-ups abwehren wie ein Kampfpilot aus Star Wars, der den Laserstrahlen der imperialen Flotte ausweicht.
“Glaubst
du
, dass es stimmt, was dein Freund – Phil, nicht wahr? – über Tessas psychische Verfassung sagt? Ich habe sie seit Wochen nicht mehr gesehen, aber als sie das letzte Mal hier war, um dich abzuholen, sah sie gar nicht gut aus. Das Böse in der Welt hat nicht immer eine übernatürliche Ursache, weißt du.”
“Stimmt.” Maddie seufzte. “Und Gott weiß, während meiner Zeit als Ballettschülerin bin ich vor einem Vortanzen auch immer total durchgedreht. Tessa isst fast nichts, und obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass man nach einem Tag mit acht Stunden Arbeit und vier Ballettstunden nicht schläft wie ein Murmeltier, hat sie Albträume und schreit im Schlaf. Ich weiß noch, dass ich damals immer so müde war, dass ich nur vom Schlafen geträumt habe. Und vom Essen. Und manchmal von Brad Pitt.”
“Aber du musstest neben dem anstrengenden Training nicht auch noch arbeiten, damit du deine Miete zahlen kannst”, erinnerte Diana sie und lehnte sich zurück. “Und du hattest Eltern, die – trotz all ihrer Fehler – wenigstens anwesend waren und dich beim Tanzen unterstützt haben. Aus deinen Erzählungen weiß ich, das Tessa nichts dergleichen hat. Wer weiß, welche Geister der Vergangenheit ihr im Kopf herumspuken?”
No!,
hatte Tessa im Schlaf geschrien,
no me toque!
Maddie hatte keine Ahnung, was die Worte bedeuteten, und überlegte, ob Tessa auf Spanisch geschrien hatte, weil das die Sprache ihrer Kindheit war, die Sprache ihrer Träume … oder deshalb, weil es die Sprache war, die ihr Vater und ihre Mutter sprachen.
Das Telefon läutete. Diana murmelte: “Muss das sein?”, und hob ab. Dann schob sie die Maus weg, wandte den Blick von Monitor ab und hörte dem Anrufer zu. “Das glaube ich nicht, Sir …”, sagte sie nach einer Weile. “Nein, soweit ich weiß, kam die erste Barbie-Puppe 1956 auf den Markt, und es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass irgendeine Verbindung zu den alten Ägyptern besteht … Natürlich nicht …”
Maddie sah kurz auf die Uhr und überlegte, wie lange sie brauchen würde, um sich zu schminken, ihr Bauchtanzkostüm anzuziehen und von der 32. Straße zum Grand-Central-Bahnhof zu kommen. Um 18 Uhr musste sie im Haus von Mrs. Buz sein. Draußen hatte es wieder zu schneien begonnen. Es würde eine bitterkalte Nacht werden.
Tessa hatte Phils Jeans, seine Socken und seine Navy-Jacke mitgenommen, als sie heute Morgen zu ihrer Arbeit bei Starbucks gegangen war. Da Phil kein Telefon besaß, hatte Maddie einen Zettel zwischen seine Kleidungsstücke gelegt, auf dem stand, dass sie heute bis spät abends unterwegs sein würde und ob er am Samstag Zeit hätte.
Letzte Nacht hatte sie – beunruhigenderweise – von Sandy geträumt. Und zwar von den langen, unerträglichen Diskussionen, in denen er immer darauf beharrt hatte, nur “müde” und wegen eines langen Spaziergangs “wie ausgedörrt” zu sein oder eine Leberkrankheit zu haben, die sich hin und wieder in Form eines, wie er es nannte, “ausgeprägten Mitteilungsbedürfnisses” bemerkbar mache. Sie hatte geträumt, wie sie die Wohnung immer und immer wieder
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