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In deinem Schatten

In deinem Schatten

Titel: In deinem Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Hambly
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Discman zu legen.
    Sie hatte oft gehört, dass man sich als Tänzer auf der Bühne nicht verstecken konnte. Mit Musik kannte sie sich zu wenig aus, deshalb wusste sie nicht, ob sich auch bei Musikern die Seele offenbarte – Richard Wagner zumindest schien ein Beweis dafür zu sein, dass man wunderbare Melodien komponieren und gleichzeitig ein Aas erster Güte sein konnte –, doch falls in Phil Coopers Seele irgendetwas Böses lauerte, spiegelte es sich definitiv nicht in seiner Kunst wider.
    Auf der CD war größtenteils Klaviermusik, obwohl zwischendurch auch eine Mandoline und eine Gitarre zu hören waren. Manchmal spielte Phil auch alle drei Instrumente gleichzeitig, was – laut Text auf dem Cover – durch Mehrspuraufnahmen möglich war, die im Studio zusammengemischt wurden. Außerdem spielte er noch Cembalo, wobei die hellen, metallischen Töne in eine Melodie flossen, die Maddie stilistisch an Ragtime erinnerte. Die Musik selbst war schön, melodisch, manchmal einfach, manchmal komplex und ähnelte in keiner Weise irgendeiner Form von kommerzieller oder moderner Musik, wie Maddie sie kannte.
    Sie war begeistert und wusste instinktiv, dass sein Stil zu außergewöhnlich war, um ihn als Pop zu bezeichnen, zu melodiös für die Richtung, die derzeit als klassischer Stil galt, und auf eine – nicht effekthaschende – Art und Weise zu altmodisch für alle New-Wave-Radiosender, die sie kannte.
    Seine Musik war wunderbar und außergewöhnlich, und es wunderte Maddie nun nicht mehr, dass Phil zu kämpfen hatte, um finanziell über die Runden zu kommen.
    Ebenso wenig war es verwunderlich, dass sein alter Herr, der bodenständige Bauunternehmer aus Tulsa, sich Sorgen um ihn machte.
    Sie drehte die CD-Hülle um und betrachtete das markante Gesicht und die freundlich lächelnden dunklen Augen.
Du kannst durch die Karten nichts über ihn erfahren,
hatte Diana gesagt
. Es geht darum, wie er in dein Leben passt, nicht umgekehrt
.
    Die letzte Nummer auf der CD hieß “Wage den Absprung und flieg”. Und irgendetwas an den aufsteigenden Kaskaden der Töne sagte ihr, dass er verstand.
    Du kannst durch die Karten nichts über ihn erfahren.
Die einzige Möglichkeit, etwas über ihn zu erfahren, war auf die gute alte und schwierige Art und Weise: sich Zeit zu nehmen … ein Herz zu schenken … und darauf zu achten, wie es einem am Ende jedes einzelnen Tages damit ging.
    Die Pennsylvania Station war fast menschenleer. In der Bahnhofshalle hallten die wenigen Stimmen jener bedauernswerten Fahrgäste, die Sonntag um halb zwei Uhr nachts immer noch unterwegs waren. Maddie nahm sich ein Taxi, obwohl ihre Wohnung in der 32. Straße nur zwei Blocks entfernt war. “Und außerdem”, begann der Fahrer völlig unvermittelt seinen Monolog, als Maddie die Autotür hinter sich zugemacht hatte, “gab es Videoaufzeichnungen von Kennedys Ermordung. Und von der Ermordung von Bobby Kennedy und Martin Luther King ebenfalls. Wie also kann es sein, dass vom Mord an John Lennon kein Video existiert, hm? Können Sie mir
das
mal erklären?”
    Glücklicherweise dauerte die Fahrt nicht lange, und als Maddie ihm sein Geld gegeben hatte, brauste er davon.
    Als sie so leise wie möglich die Wohnung betrat, fiel ihr erster Blick auf die Couch. Ihr wurde fast übel vor Angst.
    Keine Tessa. Nicht einmal das Bettzeug war hergerichtet.
    Maddie ließ ihre Tasche auf den Boden fallen und sah auf die Uhr.
    Zehn vor zwei.
    Verdammt.
    Sie schnappte sich das Telefon und hörte die Mailbox ihres Festnetzanschlusses ab. Die erste Nachricht war von Diana. “Maddie, ich habe dir eine E-Mail geschickt, in der alles steht, was ich über das Glendower Building in Erfahrung bringen konnte. Ich glaube, du solltest es dir am besten sofort durchlesen, wenn du nach Hause kommst – auch wenn es schon spät ist.”
    Die zweite Nachricht war von Phil. “Ich hoffe, du hörst deine Mailbox sofort ab, wenn du nach Hause kommst. Hier passieren merkwürdige Dinge, und ich glaube, du kommst besser her. Ich warte in der Lobby auf dich, damit ich dich hereinlassen kann. Falls ich gerade kurz weg bin, warte bitte auf mich. Hab dich lieb.”
    Die nächsten drei Anrufer hatten keine Nachricht hinterlassen, sondern aufgelegt. Vermutlich war es jedes Mal Phil gewesen, denn die Anrufe waren fast auf die Sekunde genau im Stundentakt erfolgt. Er musste zum Telefonieren entweder ins Owl Café oder in den Spirituosenladen an der Ecke gegangen sein, der rund um die Uhr geöffnet hatte.

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