In deinem Schatten
Person und ihrem Urteilsvermögen.
Sie hatte Sandy geliebt, leidenschaftlich und kompromisslos. Es war ihr richtig und logisch erschienen, Dinge, die sie liebte, aufzugeben, damit sie mit ihm zusammen sein konnte und er glücklich war. Sie erinnerte sich sehr gut an die erste Nacht, die sie zusammen verbracht hatten und in der er ständig Wodka getrunken hatte, ohne wirklich betrunken zu wirken. Obwohl ihr nicht einmal das etwas ausgemacht hätte – solange sie beide nur zusammen waren.
Sie hatte es nicht bemerken
wollen
. Damit sie sich nicht damit auseinandersetzen musste.
Sie stieß einen Seufzer aus. Rückblickend konnte sie nicht fassen, wie sie bloß so dumm hatte sein können.
So dumm, ihn zu lieben, dachte sie. So dumm, ihn zu heiraten. So unfassbar dumm zu glauben, ihn ändern zu können – durch die Drohungen, ihn zu verlassen, durch endloses Betteln, durch das Appellieren an seine Vernunft und durch ihre unzähligen Angebote, ihm zu helfen. Bis zum heutigen Tag wusste sie immer noch nicht, ob er sie wirklich geliebt hatte.
Waren Süchtige überhaupt fähig zu lieben?
War
alles
gelogen gewesen?
Sie liebte Phil. Sie war sich dessen so sicher, wie sie sich sicher war zu wissen, wie sie hieß, und dieses Wissen erfüllte sie mit Angst und Verzweiflung.
Wenn er sie belog – was seine Gefühle betraf oder seinen Charakter – würde sie den Schmerz höchstwahrscheinlich nicht mehr überleben. Ihr Instinkt sagte ihr, dass Phil Cooper ein Mann war, den sie lieben konnte, ein Mann, dem sie vertrauen konnte. Er war stark und witzig, ein Mensch, der zuhören konnte – ganz abgesehen von der Tatsache, dass sie in seiner Gegenwart den unwiderstehlichen Drang verspürte, ihm die Kleider vom Leib zu reißen und ihn ins Bett zu ziehen …
Doch ihr Instinkt hatte ihr damals auch gesagt, dass Sandy sie liebte.
Was nun?
Der Zug hielt in Bay Shore, dann in Patchogue. Draußen jonglierten vom Shoppen erschöpfte Menschen in dicken Mänteln und Gummistiefeln mit ihren Geldbörsen, Zeitschriften und braunen “Bloomingdale’s”-Einkaufstüten vom nachweihnachtlichen Schlussverkauf, mit Schirmen und heulenden Kindern, die schon vor Stunden gefüttert und für ein Schläfchen ins Bett gehört hätten. Am Zugfenster huschte die Dämmerung vorbei, die die langen, grauen und kalten Strände und das noch kältere Meer dahinter in Dunkelheit tauchte.
In den Städtchen entlang des Mississippi wurden um diese Zeit traditionell riesige Lagerfeuer angezündet; ihre orangefarbenen Flammen waren im dicken Winternebel meilenweit zu sehen. Alle Leute bereiteten sich auf den Karneval vor, veranstalteten die legendären “King-Cake-Partys” – wenn man in seinem Kuchenstück das Plastikbaby fand, musste man die nächste Party schmeißen –, und die ganze Welt roch süß nach dem Zucker aus den örtlichen Zuckerfabriken. Obwohl es am Mississippi derzeit feucht und kalt war, herrschte nie eine so nasse, brutale und bittere Kälte wie in New York.
“Ich bin praktisch in der Minute hierhergezogen, als ich entdeckt habe, dass es auch Gegenden auf der Welt gibt, wo es nie schneit”, hatte Sandy zu ihr gesagt und dabei sein kluges, schiefes Lächeln gelächelt. Sie waren im feuchten, nach Zucker riechenden Nebel von seiner Wohnung im Französischen Viertel durch die St. Peter Street zum Café du Monde gegangen. Wegen des Karnevals war die Straße mit bunten Lichtern geschmückt gewesen, und Maddie hatte sich an seine Schulter gelehnt und gelacht.
In diesem ersten Jahr in New Orleans – als sie Kurse für kreatives Schreiben besucht und vor ihren Freundinnen und Freunden so getan hatte, als hätte sie keine Affäre mit dem Lehrer – hatte es immer viel zu lachen gegeben.
Ab dem Zeitpunkt, als er dann nach New York gezogen war, um einen Job als Redakteur des Magazins “Galactic” anzunehmen, war es Maddie vorgekommen, als würde er nie mehr wirklich arbeiten. Sie selbst hatte sehr wohl gearbeitet, und zwar die meiste Zeit als Kellnerin. Während seines Jahrs beim Magazin war es in Wahrheit
sie
gewesen, die – natürlich unbezahlt – Texte redigiert hatte, wenn er sich “nicht wohl gefühlt” hatte. Einmal hatte sie Geld von ihrer Mutter angenommen, doch die emotionalen Zinsen waren einfach zu hoch gewesen: Wenn sie sich noch einmal hätte anhören müssen, wie ihre Mutter ihr vorwarf, dass sie im Begriff war, ihre Karriere als Profitänzerin
wegzuwerfen
, hätte sie ihre – wie ihre Tanten zu sagen pflegten – “gute
Weitere Kostenlose Bücher