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In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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nicht mehr an ihn.
    Koenig sagte nichts, sondern rieb sich nur hin und wieder über das stoppelkurze Haar. Er sah nicht aus wie der Koenig aus meiner Erinnerung, dieser junge Mann, der mit uns in seinem Zivilwagen mitten ins Nirgendwo fuhr, in seinem UPS-Fahrer-Hemd in Kastanienbraun. So hatte ich mir den Menschen nicht vorgestellt, in den ich an diesem Punkt all mein Vertrauen setzen würde. Sam neben mir übte einen Gitarrenakkord auf meinem Oberschenkel.
    Tja, man sollte wohl keine voreiligen Schlüsse ziehen.
    Es war still im Auto. Nach einer Weile fing Sam vom Wetter an. Er meinte, es sei ein schöner Tag für einen Ausflug. Koenig antwortete, dass man allerdings nie wissen könne, was Minnesota noch so auf Lager habe. Das alte Mädchen könne einen manchmal ganz schön überraschen. Mir gefiel es, dass er Minnesota so nannte, »altes Mädchen«. Es ließ ihn irgendwie gutmütiger erscheinen. Koenig fragte Sam, ob er sich schon für ein College entschieden habe, und Sam erzählte, dass Karyn ihm eine Vollzeitstelle in der Buchhandlung angeboten habe und er darüber nachdenke anzunehmen. Ein ehrlicher Job, kommentierte Koenig. Ich dachte an Seminare und Hauptfächer und Nebenfächer und an Erfolg, der mittels eines Stücks Papier gemessen wurde, und wünschte mir, sie würden das Thema wechseln.
    Das tat Koenig auch. »Was ist mit St. Clair?«
    »Cole? Beck hat ihn gefunden«, sagte Sam. »War so was wie ein Sozialfall.«
    Koenig sah ihn kurz von der Seite an. »Für St. Clair oder für Beck?«
    »Das frage ich mich mittlerweile auch immer öfter«, gab Sam zurück. Daraufhin wechselten er und Koenig einen Blick und ich stellte überrascht fest, dass Koenig Sam als ebenbürtig ansah oder zumindest als Erwachsenen. Ich hatte so viel Zeit mit Sam allein verbracht, dass die Reaktionen anderer auf ihn oder uns zusammen immer ein kleiner Schock waren. Es war schwer zu begreifen, wie ein einzelner Mensch so viele unterschiedliche Wirkungen auf unterschiedliche Leute haben konnte. Es war, als gäbe es vierzig Versionen von Sam. Ich hatte immer angenommen, dass die Leute mich einfach so nahmen, wie ich war, aber jetzt fing ich an, mich zu fragen, ob es wohl auch vierzig verschiedene Graces da draußen gab.
    Wir alle zuckten zusammen, als Sams Handy in meiner Tasche klingelte – in die ich ein paar Klamotten zum Wechseln gepackt hatte, falls ich mich verwandelte, und ein Buch, falls ich beschäftigt aussehen musste – und Sam sagte: »Gehst du mal ran, Grace?«
    Aber als ich die Nummer auf dem Display nicht erkannte, zögerte ich und zeigte sie Sam, während das Handy zum zweiten Mal zu klingeln begann. Er schüttelte verwirrt den Kopf.
    »Soll ich?«, fragte ich und deutete an, das Handy aufzuklappen.
    »New York«, schaltete sich Koenig ein. Er richtete den Blick wieder auf die Straße. »Das ist eine New Yorker Nummer.«
    Auch diese Information brachte Sam keine Erleuchtung. Er zuckte mit den Schultern.
    Ich klappte das Handy auf und hielt es mir ans Ohr. »Hallo?«
    Die Stimme am anderen Ende war hell und männlich. »Oh … okay. Hallo. Könnte ich Cole sprechen?«
    Sam blinzelte, er konnte die Stimme auch hören.
    »Ich glaube, da haben Sie sich verwählt«, sagte ich, während mein Gehirn das alles verarbeitete – Cole hatte Sams Telefon benutzt, um jemanden anzurufen. Seine Eltern? Würde Cole das tun?
    Die Stimme ließ sich nicht beirren. Sie klang lässig und glatt, wie ein schmelzendes Stück Butter. »Nein, hab ich nicht. Aber ich versteh schon. Hier ist Jeremy. Wir waren mal zusammen in einer Band.«
    »Sie und dieser Typ, den ich nicht kenne«, entgegnete ich.
    »Genau«, sagte Jeremy. »Ich hab da etwas, was Sie Cole St. Clair ausrichten könnten, wenn Sie so nett sind. Sagen Sie ihm bitte, dass ich das beste Geschenk auf der Welt für ihn habe und dass ich mir damit ganz schön Mühe gegeben habe, also soll er nicht einfach die Verpackung abreißen und es in die Tonne werfen, okay?«
    »Ich höre.«
    »In achtzehn Minuten wird dieses Geschenk im Radio bei Vilkas ausgestrahlt. Coles Eltern hören auch zu, dafür hab ich gesorgt. Klar so weit?«
    »Vilkas? Welcher Sender?«, fragte ich. »Nicht dass ich mit dem Ganzen irgendwas anfangen könnte.«
    »Ich kenne die Sendung«, meldete sich Koenig zu Wort, ohne von der Straße aufzusehen. »Rick Vilkas.«
    »Genau der«, bestätigte Jeremy, der ihn gehört hatte. »Da hat jemand einen hervorragenden Geschmack. Ganz sicher, dass Cole nicht in der Nähe

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