In deinen Augen
ist?«
»Ist er wirklich nicht«, entgegnete ich.
»Sagen Sie mir wenigstens eins? Als ich unseren tollkühnen Helden Cole St. Clair das letzte Mal gesehen habe, ging es ihm nicht gerade rosig. Tatsächlich sogar eher ziemlich beschissen. Alles, was ich wissen will, ist: Ist er glücklich?«
Ich dachte über das nach, was ich von Cole wusste. Ich dachte darüber nach, was es bedeutete, dass er offensichtlich einen Freund hatte, dem er so wichtig war. Cole konnte nicht durch und durch schrecklich gewesen sein, wenn er jemandem aus seinem früheren Leben noch immer so am Herzen lag. Andererseits war er vielleicht auch so toll gewesen, bevor er schrecklich geworden war, dass dieser Freund ihn trotzdem nicht aufgegeben hatte. Irgendwie veränderte das mein Bild von Cole und irgendwie auch wieder kein bisschen. »So langsam wird’s.«
Pause, dann fragte Jeremy: »Und Victor?«
Ich sagte nichts. Jeremy auch nicht. Koenig schaltete das Radio ein, ganz leise, und suchte nach dem Sender.
Jeremy sagte: »Sie sind beide schon vor langer Zeit gestorben. Ich war dabei, ich hab’s mit angesehen. Haben Sie schon mal miterlebt, wie ein Freund in seiner eigenen Haut gestorben ist? Ah. Na ja, man kann nicht alle Toten zum Leben erwecken. So langsam wird’s.« Ich brauchte einen Moment, bis mir aufging, dass er meine Antwort von vorher wiederholte. »Das ist doch schon mal was. Sagen Sie ihm, er soll sich Vilkas anhören, bitte. Er hat mein Leben verändert. Das werd ich ihm nie vergessen.«
»Ich hab nicht gesagt, dass ich weiß, wo er ist«, wandte ich ein.
»Ich weiß«, antwortete Jeremy. »Und das vergesse ich Ihnen auch nie.«
Das Telefon in meiner Hand verstummte. Sams und mein Blick trafen sich. Die fast schon sommerliche Sonne schien ihm hell ins Gesicht und verwandelte die Farbe seiner Augen in ein erschreckendes, fast unheimliches Gelb. Eine halbe Sekunde lang fragte ich mich, ob seine Eltern auch versucht hätten, einen Jungen mit braunen Augen zu töten oder mit blauen Augen. Einen Sohn, der nicht bereits Wolfsaugen hatte.
»Ruf Cole an«, sagte Sam.
Ich rief in Becks Haus an. Es klingelte und klingelte, und gerade als ich aufgeben wollte, machte es Klick in der Leitung und einen Moment später hörte ich: »Ja?«
»Cole«, sagte ich, »schalt das Radio ein.«
KAPITEL 50
COLE
Als alles für mich anfing, und mit alles meine ich das Leben, war Selbstmord nur ein Witz. Wenn ich mit dir in diesem Auto fahren muss, schneide ich mir die Pulsadern mit einem Plastikmesser auf. Etwas, was ungefähr so realistisch war wie ein Einhorn. Nein, sogar noch weniger. So realistisch wie die Explosion um einen Zeichentrickkoyoten. Jeden Tag drohen hunderttausend Menschen, sich umzubringen, und bringen damit hunderttausend andere Menschen zum Lachen, denn genau wie ein Cartoon ist es lustig und bedeutungslos. Schon vergessen, bevor man den Fernseher auch nur ausgeschaltet hat.
Dann wurde es zu einer Krankheit. Zu etwas, was andere Leute betraf, die an irgendwelchen dreckigen Orten lebten, wo sie sich die Infektion einfingen. Es war kein geeignetes Thema für den Abendbrottisch, Cole, und, wie eine Grippe, erwischte es nur die Schwachen. Wenn man dem Virus ausgesetzt gewesen war, redete man nicht darüber. Man wollte den anderen ja nicht den Appetit verderben.
Erst in der Highschool wurde es dann zu einer Möglichkeit. Keine unmittelbare, nicht im Sinne von: Möglicherweise lade ich mir dieses Album runter, weil die Gitarre so krank klingt, dass ich nur noch tanzen will, sondern auf die Art, wie Leute sagen, dass sie Feuerwehrmann oder Astronaut werden wollen, wenn sie erwachsen sind, oder auch ein Buchhalter, der jedes Wochenende Überstunden macht, während seine Frau eine Affäre mit dem DHL-Boten hat. Es wurde zu einer Möglichkeit, zu einem Wenn ich erwachsen bin, sterbe ich vielleicht.
Das Leben war wie ein Kuchen, der beim Bäcker in der Vitrine noch gut ausgesehen hatte, aber beim Essen zu Sägemehl und Salz zerfiel.
Auch ich sah gut aus, als ich the end sang.
Doch es brauchte NARKOTIKA, um Selbstmord zu meinem Ziel zu machen. Zu einer Belohnung für geleistete Dienste. Als irgendwann selbst Leute in Russland, Japan und Iowa wussten, wie man NARKOTIKA aussprach, war alles wichtig und auch wieder nichts und ich war erschöpft von dem Versuch herauszufinden, wie es sein konnte, dass beides stimmte. Ich war eine juckende Stelle, an der ich schon so lange herumgekratzt hatte, dass ich blutete. Ich war ausgezogen, das
Weitere Kostenlose Bücher