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In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Eine Art »So nah reicht, bitte nicht näher« -Geste. »John, ich weiß n–«
    John schlug meine Hand weg, woraufhin Cole eine nervöse Bewegung machte. »Lüg mich nicht an. Ich weiß, dass du es warst. Ich weiß es.«
    Das machte es leichter. Ich konnte nicht lügen, aber das war jetzt auch nicht mehr erforderlich. »Ich war das nicht. Ich hab nichts damit zu tun, dass sie da draußen im Wald war.«
    Der Verkäufer schaltete sich ein: »Das wäre ein guter Zeitpunkt, die Unterhaltung draußen weiterzuführen.«
    Cole öffnete die Tür. Kühle Nachtluft strömte herein.
    John packte mich an der Schulter, krallte die Hand in mein T-Shirt. »Wo ist Grace? Warum, von allen Mädchen in der Welt, warum meine Schwester? Warum Grace? Warum sie, du kranker –«
    Dann sah ich in seinem Gesicht oder hörte in seiner Stimme oder fühlte in seinem Griff an meiner Schulter, was er als Nächstes tun würde, sodass ich, noch bevor er nach mir ausholte, den Arm hob und seinen Schlag abwehrte. Mehr als das konnte ich nicht tun. Ich würde mich nicht mit ihm prügeln, nicht deswegen. Nicht, nachdem er schon so viel Traurigkeit geschluckt hatte, dass er davon lallte.
    »Okay, jetzt aber wirklich«, rief der Verkäufer. »Macht draußen weiter, Leute! Wiedersehen, schönen Abend noch!«
    »John«, sagte ich. In meinem Arm pochte es, wo seine Faust mich getroffen hatte. Adrenalin strömte durch meinen Körper: Johns Aufgebrachtheit, Coles Nervosität, mein eigener Abwehrimpuls trugen nur noch dazu bei. »Es tut mir leid. Aber das hier hilft auch nicht.«
    »Verdammt richtig«, keuchte John und stürzte sich auf mich.
    Plötzlich stand Cole zwischen uns.
    »Ich würde sagen, wir sind hier alle fertig«, erklärte er. Er war nicht größer als John oder ich, aber irgendwie überragte er uns trotzdem. Er sah mir ins Gesicht, versuchte meine Reaktion abzuschätzen. »Lasst uns nicht den Laden dieses netten Mannes auseinandernehmen.«
    Eine Armlänge entfernt, auf Coles anderer Seite, starrte John mich an, die Augen leer wie die einer Statue. »Ich hab dich sogar gemocht, als ich dich kennengelernt habe«, sagte er. »Kannst du dir das vorstellen?«
    Mir wurde übel.
    »Gehen wir«, sagte ich zu Cole und zu dem Verkäufer: »Danke noch mal.«
    Cole wandte sich von John ab, seine Bewegungen zackig vor Anspannung.
    Bevor die Tür hinter uns zufiel, glitt Johns Stimme mit uns nach draußen. »Jeder weiß, was du getan hast, Sam Roth!«
    Die Nachtluft roch nach Benzin und Rauch. Irgendwo kokelte ein Holzfeuer. Mir war, als brannte sich der Wolf in mir in meine Eingeweide.
    »Mann, die Leute scheinen dir echt gern eine reinzuhauen«, sagte Cole, immer noch voller Energie. Meine Stimmung wurde von Coles beeinflusst und umgekehrt, und wir waren Wölfe, alle beide. In mir summte es, ich fühlte mich schwerelos. Der VW stand nicht weit entfernt, am Ende des Parkplatzes. Über die Fahrerseite zog sich ein langer, heller Kratzer, wie von einem Schlüssel. Zumindest wusste ich jetzt, dass die Begegnung mit John kein Zufall gewesen war. Die Neonlichter der Tankstelle spiegelten sich im Autolack. Keiner von uns beiden stieg ein.
    »Du musst es machen«, sagte Cole. Er hatte die Beifahrertür geöffnet und lehnte sich, auf dem Trittbrett stehend, über das Dach zu mir herüber. »Die Wölfe führen. Ich hab’s versucht, aber ich kann keinen Gedanken festhalten, während ich ein Wolf bin.«
    Ich sah ihn an. Meine Finger kribbelten. Ich hatte die Milch im Laden vergessen. Ich dachte daran, wie John nach mir ausgeholt hatte, wie Cole sich zwischen uns gedrängt hatte, wie die Nacht in mir lebendig geworden war. So wie ich mich in diesem Moment fühlte, konnte ich nicht sagen: Nein, das kann ich nicht, denn gerade schien alles möglich.
    »Ich kann mich nicht wieder verwandeln«, erwiderte ich. »Ich will das nicht.«
    Cole lachte, nur ein einzelnes Ha. »Irgendwann wirst du dich sowieso wieder verwandeln, Ringo. Du bist noch nicht komplett geheilt. Also kannst du auch kurz die Welt retten, solange es noch geht.«
    Ich wollte ihn anflehen: Bitte, zwing mich nicht dazu, aber was für eine Bedeutung hätte das schon für Cole, der sich selbst schon Ähnliches, und viel Schlimmeres, angetan hatte?
    »Woher willst du wissen, dass sie auf mich hören?«, wandte ich noch ein.
    Cole nahm die Hände vom Dach des VW, seine matten Fingerabdrücke verdunsteten Sekunden später. »Wir hören alle auf dich, Sam.« Er sprang auf den Asphalt. »Du redest bloß nicht

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