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In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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besser klangen, als die Dinger schmeckten, durchstöberte die einschlägigen Klatschmagazine gewohnheitsmäßig nach meinem Namen, betrachtete die Regale mit überteuerten Erkältungsmedikamenten, denen es schon lange nicht mehr gelang, meine Fähigkeit, zu schlafen oder Auto zu fahren, zu beeinträchtigen, und mir wurde klar, dass es in diesem Laden nichts gab, was ich haben wollte.
    In meiner Tasche lag der kleine Mustang, den Isabel mir geschenkt hatte. Ich konnte nicht aufhören, daran zu denken. Wieder nahm ich das Auto heraus und ließ es über die Regale auf Sam zufahren, der, die Hände in den Taschen, vor einem Kühlschrank stand. Obwohl er die Milch direkt vor der Nase hatte, trug er ein vages Stirnrunzeln im Gesicht, als beanspruchte irgendein Problem seine Aufmerksamkeit ganz woanders.
    »Zwei Prozent sind ein guter Kompromiss zwischen fettarm und vollfett, falls du Schwierigkeiten hast, dich zu entscheiden«, sagte ich. Aus irgendeinem Grund wollte ich, dass Sam mich nach dem Mustang fragte, dass er mich fragte, was zur Hölle ich damit machte. Ich dachte an Isabel, an meine erste Verwandlung in einen Wolf, an den schwarzen Himmel, der sich von außen gegen die Fenster presste.
    Sam sagte: »Uns läuft die Zeit davon, Cole.«
    Die elektronische Glocke der Ladentür, die sich gerade öffnete, hielt ihn davon ab, mehr zu sagen, und mich davon, ihm zu antworten. Ich drehte mich nicht zum Eingang um, aber irgendein Instinkt veranlasste meine Nackenhaare dazu, sich aufzustellen. Sam hatte sich ebenfalls nicht bewegt, aber ich sah, dass sein Gesichtsausdruck sich veränderte. Schärfer wurde. Das war es gewesen, worauf ich unbewusst reagiert hatte.
    Erinnerungen blitzten in meinem Kopf auf. Wölfe im Wald, die Ohren aufgestellt und in alle Richtungen zuckend, mit einem Schlag wachsam. Die scharfe Luft in unseren Nasen, der Geruch nach Wild im Wind, Zeit zu jagen. Die wortlose Übereinkunft, dass nun gehandelt werden musste.
    An der Ladentheke erhob sich Gemurmel, als der Verkäufer und der Neuankömmling einander begrüßten. Sam legte die Hand auf den Griff des Kühlschranks, öffnete ihn jedoch nicht. »Vielleicht brauchen wir doch keine Milch«, sagte er.
SAM
    Es war John Marx, Olivias älterer Bruder.
    Es war mir nie leichtgefallen, mich mit John zu unterhalten – wir kannten uns kaum und jedes unserer bisherigen Treffen war ziemlich angespannt verlaufen. Und nun war seine Schwester tot und Grace wurde vermisst. Ich wünschte, wir wären nicht hergekommen. Aber jetzt konnte ich nichts tun, außer weiterzumachen, als wäre alles wie immer. John stand nicht direkt an der Kasse; er starrte auf das Regal mit den Kaugummis. Mit gekrümmten Schultern schlurfte ich zu ihm an den Tresen. Ich roch Alkohol, was mich deprimierte. Früher war John mir immer so jung vorgekommen.
    »Hi«, sagte ich, kaum hörbar, gerade so, dass man mir nicht ankreiden konnte, nichts gesagt zu haben.
    John begrüßte mich mit dem klassischen Männernicken, ein kurzes Rucken mit dem Kopf. »Wie geht’s.« Es war keine Frage.
    »Drei einundzwanzig«, sagte der Verkäufer zu mir. Er war ein schmächtiger Kerl mit permanent gesenktem Blick. Ich zählte die Scheine ab, sah John nicht an, betete darum, dass er Cole nicht erkannte. Meine Augen wanderten zu der Überwachungskamera, die uns alle beobachtete.
    »Wissen Sie, dass das hier Sam Roth ist?«, fragte John. Alle schwiegen, bis der Verkäufer begriff, dass John ihn angesprochen hatte.
    Der Blick des Verkäufers huschte hoch zu meinen verräterisch gelben Augen und dann wieder nach unten auf die Geldscheine, die ich auf die Theke gelegt hatte, bevor er höflich antwortete: »Nein, wusste ich nicht.«
    Natürlich wusste er, wer ich war. Jeder wusste das. Ich spürte, wie mich eine Welle von Zuneigung für den Verkäufer ergriff.
    »Danke«, sagte ich, als ich mein Wechselgeld entgegennahm, und meinte damit mehr als nur die Münzen. Cole stieß sich neben mir von der Theke ab. Zeit zu gehen.
    »Willst du gar nichts sagen?«, wandte John sich an mich. Ich hörte das Elend in seiner Stimme.
    Mein Herz zuckte in meiner Brust, als ich mich zu ihm umdrehte. »Das mit Olivia tut mir leid.«
    »Sag mir, warum sie tot ist«, sagte John. Auf wackeligen Beinen trat er einen Schritt auf mich zu. Ein Atemzug, versetzt mit Alkohol, hart, pur und erst vor Kurzem getrunken, wehte zu mir herüber. »Sag mir, was sie dort gemacht hat.«
    Ich streckte eine Hand aus, die Handfläche zum Boden gerichtet.

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