In deiner Hand
gegangen. Erik blieb vor einem Einfamilienhaus stehen, dessen Fensterläden lustlos aus den Angel hingen. Das ausgeblichene Blau der Fassade blätterte bereits ab. Irgendwie erinnerte mich der vernachlässigte Anblick an etwas Bestimmtes. Doch ehe ich danach greifen und es genauer betrachten konnte, verzog sich das Bild wieder in die hintersten Ecken meines Gehirns. Erik stieg eine Treppe hinunter und verschwand in der pechschwarzen Dunkelheit eines Durchgangs. Zögernd blieb ich am oberen Absatz stehen und spähte nach unten.
„Was genau wollen wir da?“
„Vertrau mir!“, rief er und streckte den Kopf nach draußen. Vertrau mir! Er verlangte mir da ganz schön was ab! Nicht dass ich wirklich glaubte, er könne in der Dunkelheit über mich herfallen.
„Ich … möchte lieber hier draußen bleiben“, gestand ich.
„Hier vorn scheint die Sonne!“ Sein Arm tauchte aus dem Durchgang aus und deutete zum Fuße der Treppe. „Dort kannst du dich hinsetzen!“
„Okay“, flüsterte ich kleinlaut. Mit zaghaften Schritten und weniger selbstbewusst als jemals zuvor, stieg ich treppab. Ich blieb in der Sonne stehen, während Erik keinen Meter weiter von der Dunkelheit fast vollständig verschluckt wurde. Nur seine hellen Augen stachen aus der Finsternis hervor wie schimmernde Edelsteine.
„Setz dich!“, bat er. Mit den Schuhen fegte ich getrocknetes Laub und kleine Steine zur Seite, dann ließ ich mich im Schneidersitz nieder. „Das hier ist meine Welt!“, kam es aus dem dunklen Raum. Eriks Stimme hallte dumpf durch den Keller.
„Du meinst … du wohnst hier?“ Er lachte leise. Seine Hand glitt in die Sonne und zog sich wieder zurück. „Meine Welt ist die Finsternis, Verry!“
„Okay.“
Er schwieg. Nur sein Atem war zu hören. Seine hellblauen Augen beobachteten mich wachsam. „Ich war gerade zwölf Jahre alt geworden, als eine Horde Neugeborener Vampire in unser Haus in Kanada einfiel. Sie metzelten alles nieder! Nur mir gelang die Flucht! Niemand glaubte mir, als ich schreiend durch unser Dorf rannte und um Hilfe flehte.“ Seine Worte schlangen sich um meinen Körper und rissen mich mit sich, als stürze ich kopfüber in seine Vergangenheit. „Keiner kam, um meiner Familie zu helfen. Erst am nächsten Tag wagten sich ein paar Jäger in unser Haus. Von wilden Bestien war die Rede. Von Grizzleys und tollwütigen Wölfen …“ Er verstummte. Seine Fingerspitzen schoben einen Stein in den grellen Sonnenstrahl, drehten ihn eine Weile hin und her. „Zwei Jahre später sammelte mich ein wohlhabender Europäer von der Straße auf. Er bot mir ein Dach über dem Kopf, Essen und einen Platz zum Schlafen.“
Bei der Erwähnung des Europäers wurde mir speiübel. Fröstelnd wickelte ich die Arme um meinen Oberkörper und senkte den Blick auf meine Knie. Selbst die wärmenden Strahlen der Sonne vermochten nicht, die schreckliche Kälte aus meinen Gliedern zu vertreiben, die unaufhaltsam bis in meine Knochen kroch.
„Damian Malik sammelte Kinder.“
Geschockt riss ich die Augen auf und starrte Erik an. „Was?“
Sein erhobener Zeigefinger glitt ins Licht. Er bedeutete mir, ihn ausreden zu lassen. „Waisenkinder, die im zweiten Weltkrieg in Europa alles verloren hatten, schleppte er nach Amerika. Er päppelte uns alle auf, stellte Bedienstete ein, die sich um uns kümmerten. Es war wie ein Leben im Schlaraffenland! Wir waren immer satt, froren nie! Nach und nach kamen neue Kinder und ältere verschwanden. Es war wie ein Kreislauf. Eines ging, ein neues kam. Die Zahl veränderte sich nie. Wir waren Fünfzehn. Immer! Wir wuchsen zu einer kleinen Familie zusammen und vermissten jedes Mitglied, dass eine andere Familie gefunden hatte schmerzlich. Nie wäre mir in den Sinn gekommen, dass er sie umbrachte, sobald sie seiner Meinung nach reif genug waren.“
Seine Stimme war so leise geworden, dass ich automatisch näher rutschte, um ihn besser verstehen zu können. Wobei ich nicht sicher war, ob ich mir die Dinge wirklich anhören wollte, die Erik mir offenbarte. „Malik gehört den Vampiren an, die davon überzeugt sind, dass unschuldiges Blut ihre Kräfte steigert, dass sie sie unsterblich machen. Immun gegen die Waffen der Jäger. Überall in Amerika richtete er Waisenhäuser ein, an deren Kindern er sich labte, bis sie starben. Ich weiß bis heute nicht, was ihn dazu trieb mich zu verschonen.“
Eriks folgendes Schweigen zog sich über Minuten in die Länge. „Er hat mich gebissen!“, flüsterte er heiser und als
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