In deiner Hand
gab so gut wie keine Außenseiter, von mir mal ganz abgesehen. Heute wäre es mir lieber gewesen, man hätte uns in Kursen unterrichtet und ich müsste mich jetzt nicht vor der Begegnung mit Brian fürchten.
„Gadget. Einfach nur Gadget!“, flüsterte ich. „Das ist viel unpersönlicher!“ Als ich die Klasse betrat, sahen einige wenige Schüler auf. Erik machte auf mich den Eindruck eines schwanzwedelnden Dackels, der darauf brannte zu mir zu laufen und mich anzuspringen. Gadget unterbrach seine Rede nicht. Er ließ sich überhaupt nicht anmerken, ob er meine Anwesenheit registriert hatte, worüber ich wahnsinnig dankbar war. Leise schlich ich zu meinem Platz und ignorierte Eriks fragenden Blick. Zum ersten Mal seit Langem, hatte ich die Worte, die mein Lehrer zum Besten gab, wie einen Schwamm in mich aufgesogen und mir alles gemerkt. Dass es daran lag, dass ich seine Stimme auf eine gewisse Weise ziemlich sexy fand, überging ich einfach. Man musste eben in allem das Positive sehen! Ich hatte etwas gelernt, während Erik mich ununterbrochen von der Seite angesehen hatte, meine Hand knetete und mir überdeutlich zu verstehen gab, dass er wissen wollte, was los gewesen war. Als es zur Mittagspause läutete, zog er mich einfach hinter sich aus dem Raum. „Weich mir bloß nicht von der Seite!“, murmelte er äußerst beunruhigt und hinkte mit eingezogenem Kopf vor mir mehr. „Warum … bewegst du dich so?“, fragte ich mal wieder äußerst unüberlegt. Mir war aufgefallen, dass er sich, wenn er sich zusammenriss, fast aufrecht stehen konnte, mit herausgedrückter Brust und gestrafften Schultern. Doch sobald er abgelenkt wurde oder er an Konzentration verlor, beugte er sich zusehends vorn über. Wie auf mein Kommando drückte Erik den Rücken durch und stolzierte mit steifen Gliedern vor mir her.
„Keine Ahnung wovon du redest!“
„Komm schon. Glaubst du echt ich bin blöd?“ Er blieb mitten auf dem vollen Gang stehen. Erstaunlicherweise machten die Schüler einen riesigen Bogen um ihn, während die Mädchen bewundert zu ihm hinauf starrten. Mir hingegen rammte ständig irgendwer einen Ellenbogen in die Seite oder trat mir in die Hacken.
„Hey, Fotze!“, zischte mir jemand von der Seite zu. Rex´ Sohn! Der Wichser hatte mir gerade noch gefehlt! „Du bist ja immer noch …“ Der Kopf des Typen ruckte kräftig zur Seite. Sein Körper vollführte eine schwindelerregende Pirouette und landete der Länge nach auf dem Boden. Kreischend sprangen die Mädchen zurück. Die Jungs tummelten sich mit großen Augen um den Sohn der Direktorin und Erik, der neben ihn am Boden kniete.
„Was ist denn hier los?“, dröhnte Gadgets Stimme durch den Flur. Er quetschte sich durch die Schaulustigen und schürzte die Lippen, als er Erik entdeckte, der sich gerade dreckig grinsend erhob.
„Ist wohl gestolpert, der Gute!“, erklärte er trocken, nahm meine Hand und zog mich weiter.
„Du … du hast … weißt du wer das war?“, stammelte ich beeindruckt und warf einen Blick über meine Schulter. Gadget sah uns nach, die Hände tief in den Manteltaschen vergraben und erteilte Befehle, jemand möge den Idioten – Ja! Er nannte den Kerl einen Idioten! – ins Krankenzimmer schaffen.
„Er hat dich beleidigt!“
„Schon … aber …“
Erik zerquetschte fast meine Hand. „Nichts aber!“ Der grollende Unterton duldete keinen Widerspruch. Wir überquerten in atemberaubendem Tempo den gesamten Schulhof. Ehe ich mich versah, fand ich mich in der Nähe der östlichsten Abgrenzung unserer Schule wieder. Erik kletterte über die hüfthohe Mauer und hielt mir die Hand hin.
„Wo willst du denn hin?“
„Du wolltest eine Antwort!“ Das Verlassen des Schulgeländes während der Unterrichtszeit war nicht gestattet. Es sei denn man besuchte die Oberstufe, zu der ich noch nicht gehörte.
„Wir tun was Verbotenes!“, rief ich und kam seiner Aufforderung nach. „Wie aufregend!“
Erik streckte mir seine Zunge raus. Das Gelände hinter meiner Highschool war eine Zusammenstellung baufälliger Häuser, die, größtenteils der Einsturzgefahr wegen abgesperrt waren. Wie verantwortungslos, keine schweren Zäune zu errichten. Ich wollte nicht daran denken, wie viele Schüler sich schon dorthin verdrückt hatte um heimlich zu qualmen. Hinter dem Riesen her stolpernd musterte ich die toten Gebäude. Hier herrschte eine verblüffende Stille. Nicht einmal der Lärm der Schüler drang bis hierher vor, dabei waren wir nun wirklich nicht sehr weit
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