In den Armen der Nacht
einer von den beiden sie gebracht, oder einer von uns hat sie zu Hause abgeholt.«
»Sind Linnie und sie jemals alleine unterwegs gewesen? «
»Nein.« Jennys Augen wurden feucht, doch unbewusst wischte sie die Tränen fort. »Linnie hat manchmal gejammert, weil die meisten Klassenkameradinnen von ihr allein zum Spielen in den Park oder ins Kino gehen durften. Aber Matt und ich waren der Ansicht, dass sie noch zu jung war, um alleine loszuziehen.«
»Und wie haben es die Swishers mit Nixie gehalten? «
»Genauso. Wie gesagt, wir hatten viel gemein.«
»Und mit Coyle?«
»Er war älter, und er war ein Junge. Ich weiß, das ist sexistisch, aber so war es nun einmal. Auch für ihn galten bestimmte Regeln, aber er durfte allein mit seinen Freunden fortgehen, solange seine Eltern wussten, wo er war. Er musste immer sein Handy mitnehmen, damit er jederzeit erreichbar war.«
»Ist er jemals in irgendwelche Schwierigkeiten geraten? «
»Er war ein gutes Kind.« Jennys Lippen fingen an zu zittern. »Ein wirklich gutes Kind. Die größte Form der Rebellion war für ihn, heimlich irgendwelches Junk-Food in sich reinzustopfen, und selbst darüber wusste Keelie Bescheid. Er war total sportbegeistert, und wenn er sich nicht benommen hat, wurden seine sportlichen Aktivitäten kurzfristig beschränkt. Das Risiko, nicht Ball spielen zu dürfen, war ihm eindeutig zu groß.«
Eve lehnte sich zurück, und ihre Partnerin berührte Jenny sanft am Arm. »Können wir jemanden für Sie anrufen? Hätten Sie gern, dass jemand kommt?«
»Meine Mutter ist schon auf dem Weg. Ich habe ihr gesagt, dass sie zu Hause bleiben soll, aber dann habe ich sie noch mal angerufen. Sie ist schon unterwegs.«
»Mrs Dyson, wir müssen mit Ihnen noch über den weiteren Verbleib von Nixie reden.«
»Nixie?«
»Sie und Ihr Mann sind ihre Vormünder.«
»Ja.« Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Wir –sie wollten sichergehen, dass Nixie und Coyle … ich kann nicht, ich kann nicht nachdenken –« Sie sprang eilig von der Couch, als mit einem Mal ihr Mann bleich wie ein Gespenst die Treppe aus der oberen Etage herunterkam.
Er trug nur weiße Boxershorts, schwankte und hatte ein von dem Beruhigungsmittel schlaffes, ausdrucksloses Gesicht. »Jenny?«
»Ja, Baby, ich komme.« Sie rannte Richtung Treppe und nahm ihn in den Arm.
»Ich hatte einen Traum, einen fürchterlichen Traum. Linnie.«
»Pst. Pst.« Sie strich ihm über Kopf und Rücken und starrte Eve, als er an ihrer Brust in sich zusammensackte, über seine Schulter hinweg mit schmerzerfüllten Augen an. »Ich kann nicht. Ich kann nicht. Bitte, können Sie jetzt gehen? Können Sie jetzt gehen?«
7
Eve betrachtete die Ehe als eine Art von Hindernisparcours, in dessen Verlauf man lernen musste, wann man die Hürden am besten übersprang, wann man darunter hindurchkroch und wann ein Richtungswechsel angeraten war.
Sie hatte alle Hände voll zu tun und hätte sich im Augenblick am liebsten stur geradeaus bewegt. Aber sie hatte ihrem Mann ein fremdes kleines Mädchen aufgehalst und sollte deshalb vielleicht ein paar Worte mit ihm
wechseln, denn schließlich sah es aus, als bliebe dieses Mädchen länger als geplant in seinem Haus.
Deshalb nahm sie sich kurz frei, auch wenn ein Gespräch über ihr Handy mitten auf der Straße eher Arbeit als Freizeitvergnügen war.
Zu ihrer Überraschung kam er persönlich an den Apparat, und sie zuckte schuldbewusst zusammen, als er wegen der Unterbrechung verärgert das Gesicht verzog.
»Tut mir leid, ich kann auch später noch mal anrufen«, erklärte sie.
»Nein, ich habe gerade eine kurze Pause zwischen zwei Terminen. Gibt es ein Problem?«
»Vielleicht. Ich weiß nicht so genau. Ich dachte, ich sollte dir Bescheid geben, dass ich die Befürchtung habe, dass die Kleine vielleicht etwas länger als erwartet bei uns bleiben muss.«
»Ich habe dir gesagt, dass sie so lange bleiben kann, wie …« Er wandte sich vom Bildschirm ab und hob abwehrend die Hand. »Moment, Caro. Bin sofort da.«
»Hör zu, wir können uns auch später darüber unterhalten. «
»Nein, sprich weiter. Warum denkst du, dass sie nicht heute oder morgen zu den Dysons ziehen wird?«
»Sie sind in unglaublich schlechter Verfassung, und der von mir für das Gespräch gewählte Zeitpunkt hat nicht gerade dazu beigetragen, dass es ihnen besser geht. Wie gesagt, bisher ist es nur so ein Gefühl. Vielleicht kontaktiere ich die – wer ist es doch gleich? – die Großmutter, wenn
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