In den Armen der Nacht
Hilfe.« Jetzt stand Eve tatsächlich auf.
»Man kann Leuten, die Schnecken essen, ganz einfach nicht trauen«, fügte die Alte noch hinzu.
»Nein, Ma’am. Bleiben Sie ruhig sitzen, wir finden schon alleine raus.«
Als sie den Raum verließen, stand Hildy grinsend hinter der Tür. »Völlig irre, aber irgendwie auch faszinierend, finden Sie nicht auch? Mrs Grentz?«, rief sie mit erhobener Stimme und blickte durch die Tür. »Ich gehe jetzt runter.«
»Haben Sie meine Bagels mitgebracht?«
»Sie liegen in der Küche. Bis später. Gehen sie immer weiter«, wies Hildy die Besucherinnen an. »Drehen Sie sich bloß nicht noch mal um. Man weiß nie, was ihr als Nächstes in den Sinn kommt.«
»Haben Sie ein paar Minuten Zeit für uns?«
»Sicher.« Hildy ging mit ihrer Einkaufstüte vor den
beiden anderen Frauen aus dem Haus die Treppe hinunter dorthin, wo ihr eigener Eingang war. »Eigentlich sind wir sogar verwandt. Sie war die Frau von meinem Urgroßonkel, aber sie wird lieber Mrs Grentz genannt. Meinen Urgroßonkel habe ich nie persönlich kennen gelernt, er ist schon seit dreißig Jahren tot.«
Obwohl die Wohnung tiefer als die Straße lag, war sie hell und freundlich. An den Wänden hingen jede Menge ungerahmter Poster und auf dem Boden waren bunte Flickenteppiche verteilt. »Sie denkt, ich wäre ihre Mieterin, obwohl ihr Sohn die Miete zahlt. Ich bin eine Art inoffizielle Verwalterin des Hauses und Betreuerin für sie. Sie haben die Wohnung oben gesehen. All das Zeug, das sie dort hortet, ist nur ein Bruchteil dessen, was sie besitzt. Sie hat jede Menge Kohle auf der Bank. Wollen Sie sich vielleicht setzen?«
»Danke.«
»Sie ist millionenschwer, deshalb bin ich hier, um darauf aufzupassen, dass die Alarmanlage immer eingeschaltet ist und dass sie nicht hilflos in der Wohnung liegt, falls sie über eins der Möbelstücke stolpert und sich dabei das Bein oder sonst was bricht. Sie hat immer einen Sender bei sich«, erläuterte Hildy, zog einen kleinen Empfänger aus der Tasche und hielt ihn Eve hin. »Falls sie stürzt oder ihr Herzschlag aussetzt, fängt das Ding hier an zu piepsen. Außerdem mache ich ein paar Einkäufe für sie und höre mir gelegentlich ihre wirren Geschichten an. Wenn man bedenkt, was für eine tolle Wohnung ich dafür bekomme, ist es alles in allem kein schlechtes Geschäft. Vor allem, da sie durchaus in Ordnung und wirklich witzig ist.«
»Wie lange wohnen Sie schon hier?«
»Seit sechs, nein sieben Monaten. Ich bin Schriftstellerin – das heißt, ich fange gerade mit dem Schreiben an,
deshalb ist dieses Arrangement für mich ideal. Wollen Sie vielleicht etwas trinken?«
»Danke, nein. Kannten Sie die Swishers?«
»Wie man Leute kennt, die man täglich auf der Straße sieht. Wir hatten nicht unbedingt dieselbe Wellenlänge, haben uns aber immer freundlich zugenickt.«
»Was heißt das, Sie hatten nicht dieselbe Wellenlänge? «
»Die waren total straight, und zwar auf eine unglaublich konservative Art. Aber trotzdem wirklich nett. Wenn sie mich draußen gesehen haben, haben sie sich immer nach Mrs Grentz erkundigt und mich gefragt, wie es mir geht. So was macht nicht jeder. Die Kinder kannte ich ein bisschen besser.«
Sie hob eine Hand und kniff die Augen zu. »Ich versuche, mir zu sagen, dass sie jetzt an dem Ort sind, den das Schicksal für sie vorgesehen hat, oder wie man in solchen Situationen sagt. Aber, meine Güte.« Als sie die Augen wieder aufschlug, waren sie tränenfeucht. »Sie waren doch noch Kinder. Ich glaube, der Junge, Coyle, hat ein bisschen für mich geschwärmt. Das war total süß.«
»Dann haben Sie die beiden also öfter auf der Straße gesehen.«
»Sicher. Vor allem Coyle. Das kleine Mädchen haben sie nicht so oft alleine losziehen lassen. Er hat mir manchmal angeboten, für mich einkaufen zu gehen, oder hat mich zum Supermarkt begleitet. Oder ich habe gesehen, wie er mit seinen Freunden Skateboard gefahren ist, und dann hat er mir gewinkt, oder ich bin rausgegangen und habe kurz mit ihm geschwatzt.«
»Haben Sie ihn jemals mit irgendwem gesehen, der nicht hier aus der Gegend war?«
»Nein, ich glaube nicht. Er war ein guter Junge. Auf eine altmodische Art. Unglaublich höflich und ein bisschen
schüchtern, zumindest, wenn er mich getroffen hat. Und er war total sportbegeistert, weshalb er ständig draußen war.«
»Ist Ihnen vielleicht irgendetwas aufgefallen, was uns weiterbringen könnte? Schriftsteller haben doch eine gute Beobachtungsgabe,
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