In den Armen des Eroberers
»Welche andere Möglichkeit gibt es denn noch? Ich habe eine gute Erziehung genossen, wurde ausgebildet, um zu repräsentieren. Papa bestand darauf, daß ich dem ton vorgestellt und, aufgetakelt wie eine Fregatte, meinem Großvater unter die Nase gerieben werden sollte. Er hoffte auf eine großartige Heirat für mich, nur um Großvater zu beweisen, daß er mit seinen antiquierten Vorstellungen allein auf der Welt stünde.«
»Doch Eure Eltern starben noch vor Eurem Debüt?«
Honoria nickte. »Lady Harwell, eine alte Freundin Mamas, hat eine Tochter, die zwei Jahre jünger ist als ich. Nachdem die Trauerzeit vorüber war, habe ich ihr meine Idee unterbreitet – ich war der Meinung, dank meiner Herkunft und meiner Ausbildung wohl andere Mädchen unterweisen zu können. Lady Harwell war bereit, es zu versuchen. Nachdem ich Miranda auf ihr Debüt vorbereitet hatte, angelte sie sich einen Earl. Danach hat es mir natürlich nie an Anstellungen gemangelt.«
»Zum Entzücken der kuppelnden Mamas.« Ein zynischer Unterton hatte sich in seine tiefe Stimme eingeschlichen. »Und wen unterweist Ihr hier in Somersham?«
Die Frage holte Honoria brutal in die Gegenwart zurück. »Melissa Claypole.«
Ihr Retter furchte die Stirn. »Ist das die Dunkle oder die Blonde?«
»Die Blonde.« Honoria stützte das Kinn in die Hand und blickte in die Flammen. »Ein zimperliches Fräulein ohne jegliches Konversationsgeschick – Gott allein weiß, wie ich sie attraktiver machen soll. Eigentlich hatte Lady Oxley mich angefordert, aber ihr Sechsjähriger bekam die Windpocken, und dann starb die alte Lady Oxley. Da hatte ich schon alle anderen Angebote abgelehnt, aber der Brief der Claypoles traf spät ein, und ich hatte ihn noch nicht beantwortet. Also sagte ich zu, ohne, wie sonst üblich, meine Erkundigungen einzuziehen.«
»Erkundigungen?«
»Ich arbeite schließlich nicht für jeden.« Honoria unterdrückte ein Gähnen und setzte sich behaglicher hin. »Ich vergewissere mich, ob die Familie beim ton gut angesehen ist, die richtigen Beziehungen pflegt, um die richtigen Einladungen zu bekommen, und wohlhabend genug ist, um nicht über jede Putzmacher-Rechnung in Ohnmacht zu fallen.«
»Ganz zu schweigen von den Rechnungen der Modistin.«
»Genau. Nun …« Sie winkte flüchtig ab. »Kein Mädchen angelt sich einen Herzog, wenn es sich kleidet wie eine graue Maus.«
»Zweifellos. Verstehe ich richtig: Die Claypoles entsprechen nicht Euren strengen Anforderungen?«
Honoria zog die Stirn in Falten. »Ich bin erst seit Sonntag bei ihnen, aber ich habe einen gemeinen Verdacht …« Sie sprach nicht weiter, hob nur die Schultern. »Zum Glück sieht es so aus, als wäre Melissa so gut wie in festen Händen – sogar in denen eines Herzogs.«
In die nun entstehende Pause hinein fragte ihr Retter: »Eines Herzogs?«
»Es hat den Anschein. Wenn Ihr in dieser Gegend wohnt, werdet Ihr ihn wohl kennen: nüchtern, distanziert, lebt ziemlich zurückgezogen, glaube ich. Und er hat sich schon in Lady Claypoles Netz verfangen, sofern ihre Ladyschaft die Wahrheit spricht.« In Erinnerung an ihre drängenden Fragen wandte Honoria sich ihm zu. »Kennt Ihr ihn?«
Klare grüne Augen sahen sie an, dann schüttelte ihr Retter langsam den Kopf. »Nein, ich glaube, ich hatte das Vergnügen noch nicht.«
»Hm!« Honoria ließ sich in ihrem Sessel zurücksinken. »Allmählich glaube ich, er ist tatsächlich ein Einsiedler. Seid Ihr sicher …«
Doch er hörte ihr nicht mehr zu. Jetzt vernahm auch sie, was seine Aufmerksamkeit auf sich zog – den rasselnden Atem des verwundeten jungen Mannes. Im nächsten Moment war er bereits an dessen Bett. Er setzte sich auf die Kante und ergriff die Hand des Jungen. Von ihrem Sessel aus hörte Honoria, wie der Atem des Verletzten immer rauher, immer keuchender ging.
Fünfzehn schmerzvolle Minuten später hörte das trockene Rasseln auf.
Unirdische Stille erfüllte den Raum; selbst das Unwetter schwieg. Honoria schloß die Augen und sprach ein stilles Gebet. Dann erhob sich der Wind von neuem und schwoll zu einem schaurigen Heulen an, dem Totengesang der Natur.
Honoria schlug die Augen wieder auf und sah, wie Devil dem Toten die Hände auf der Brust kreuzte. Dann setzte er sich auf die Bettkante und betrachtete die bleichen Züge, in denen sich nie wieder etwas regen würde. Vor seinem geistigen Auge sah er seinen Vetter lebendig und gesund vor sich, lachend und schwatzend. Honoria wußte, wie das Bewußtsein mit
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