In den Armen des Feindes
erlebt.
Rosalind hatte bisher in keiner Schlacht gekämpft, und wie es schien, musste sie heute sogar eine gewinnen.
In einem Moment verfluchte sie Gregory Evandale, weil er sie allein gelassen hatte, und im nächsten betete sie darum, dass er bald zurückkommen möge. Warum hatte er sie nicht geheiratet, bevor er sich an König Edwards Kriegszügen beteiligte? Er hatte behauptet, er müsste vertrauenswürdige Männer anwerben und brauchte die Zustimmung des Königs für ihre Heirat. Konnte das wirklich drei lange Jahre dauern?
Nachdem sie von der Außenmauer gestiegen war, eilte sie über den Burghof. Die dünnen Sohlen ihrer hübschen Pantöffelchen boten nur wenig Schutz gegen die spitzen Steine. Männer und Frauen, alt und jung, waren mit Vorbereitungen zur Verteidigung der Burg beschäftigt. Man hatte einige große Feuer angezündet, um Kessel voll Wasser zum Kochen zu bringen. Mit Hilfe von Flaschenzügen hievten Männer Felsbrocken auf die Mauern. Auch Küchenabfälle waren dabei und, wie Rosalind vermutete, der Inhalt der Nachttöpfe. Beaumonts Ritter schlichen heimlich auf die Mauern, wo sie sich mit Pfeil und Bogen bewaffnet auf ihre Posten begaben, bereit, sofort zu schießen.
Rosalind blickte umher und wusste, dass alle Anstrengungen nur ein Notbehelf waren. Doch das konnte nicht den immensen Stolz schmälern, der beim Anblick ihrer hart arbeitenden Leute in ihr aufstieg. Fast hatte sie die schützenden Mauern erreicht, als ihr John in den Weg trat.
"Nun?"
"Wir haben eine Viertelstunde Zeit, uns zu besprechen."
Rosalind schnaubte vor Abscheu. Ihr Herz klopfte immer noch zum Zerspringen nach der Auseinandersetzung mit diesem feindlichen Krieger. "Der eingebildete Schotte glaubt, wir würden uns ihm und seinem Barbarenpack kampflos ergeben."
"Euer Vater wäre heute stolz auf Euch, Rosalind. Das spüre ich in jedem meiner alten Knochen." Beruhigend legte John ihr die Hand auf die Schulter, bevor er sich eilig wieder den Vorbereitungen im Innenhof zuwandte.
Eine Fülle von Gefühlen überwältigte Rosalind. Es war der vertraute Schmerz, etwas Wertvolles verloren zu haben, diesmal begleitet von Furcht und Verzweiflung. Großer Gott, sie wünschte sich so sehr, dass ihr Vater stolz auf sie wäre. Und ihre Mutter. Und der liebe William, den sie vergöttert hatte … Sie sandte ein Stoßgebet gen Himmel und hetzte ins Burginnere, um Gerta trotz des Schüttelfrosts, der ihren ohnehin zarten Körper schwächte, zu helfen. Wahrscheinlich würden sie die äußeren Mauern nicht lange verteidigen können, vielleicht nicht einmal für eine Nacht. Doch der innere Hof und die Burg waren so gebaut, dass sie einer langen Belagerung standhielten.
Noch …
Eine unbestimmte Sorge machte ihr zu schaffen, und sie versuchte, die hämmernden Schmerzen in ihrem Kopf lang genug zu ignorieren, um einen klaren Gedanken zu fassen. Jetzt musste sie dringend eine Strategie ausarbeiten und einen Plan für alle Fälle erstellen. Allerdings wurde sie das leise Gefühl nicht los, etwas übersehen zu haben.
Sie konnte sich einfach nicht daran erinnern, was es war. Ihre Krankheit und die konfusen Gedanken verwünschend, hastete sie zur Großen Halle, wo Gerta jedem, der ihr über den Weg lief, Befehle zubellte.
"Wir haben weniger als eine Viertelstunde Zeit. Dann müssen wir uns verteidigen", schrie Rosalind über den Lärm der hin und her eilenden Dorfbewohner hinweg, die Kisten voller Feldfrüchte und Rüben in die Burg schleppten. Gerta zögerte nur kurz, als sie die Nachricht vernahm, dann verdoppelte sie ihre Anstrengungen, Proviant und Vorräte in die inneren Mauern zu bringen.
Rosalind eilte die Treppe zu ihrem Gemach empor und warf das letzte Kleidungsstück ihres Vaters von sich, als sie in den Raum stürmte. Sie riss den Deckel der Truhe am Fußende ihres Bettes auf und durchwühlte die wenigen Schätze, die sie besaß – ein Kleid ihrer Mutter, ein Gedicht, das Gregory vor langer Zeit für sie verfasst hatte, ihre Kräuterbüchse –, und endlich fand sie den mit Juwelen besetzten Dolch ihres Vaters.
Auch wenn sie bezweifelte, jemals eine Waffe benützen zu müssen, die für den Zweikampf bestimmt war, fühlte sie sich mit Lord William Beaumonts Dolch einfach sicherer. Vielleicht würde durch ihn etwas von der Kraft ihres Vaters auf sie übergehen.
Zu guter Letzt warf sie noch schnell einen Blick in den kleinen Spiegel. Verblüfft blickte sie auf die glänzenden, hellblonden Locken, die ihr über die Schultern
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