In den Armen des Feindes
wärmte. "John, Ihr begleitet uns und wartet vor der Tür. Wir werden uns dann beraten."
"Aber …", begannen John und Gerta.
" Ich werde als Herr von Beaumont mit diesen schottischen Wilden sprechen." Mit einem viel sagenden Blick brachte Rosalind den einstimmigen Protest der beiden zum Schweigen. Ihr kampflustig in die Höhe gerecktes Kinn hielt jeden davon ab, mit ihr zu streiten.
Als sie jedoch kurz darauf, angetan mit alten Kleidern ihres Vaters, zu den Zinnen des äußeren Burghofs hinaufkletterte, schwand ihr Selbstvertrauen zusehends. Sie zweifelte, ob sie ihre Stimme auch gut genug würde verstellen können, wenn sie zum Feind hinunterrief. Vielleicht erwiesen sich ja ihr kratzender Hals und die heisere Stimme wenigstens bei dieser Gelegenheit als Vorteil.
Was, wenn der Anführer darauf bestand, dass sie sich von Angesicht zu Angesicht trafen? Aus der Ferne mochte ihre List gelingen, doch aus der Nähe gesehen würde sie nie als ein Mann durchgehen. Das Gewand ihres Vaters umschlotterte sie Mitleid erregend, und selbst wenn sie ihr langes Haar unter dem Kragen der Tunika verbarg, ließ ihre zarte Erscheinung sie wie ein Junge aussehen.
Dass Rosalind auch noch abwechselnd vor Fieber und Kälte zitterte, verbesserte ihre Lage keineswegs.
"Mylady, noch ist es nicht zu spät, jemand anderen diese Rolle spielen zu lassen", zischte John ihr ins Ohr – schon zum dritten Mal, seitdem sie die Gewänder ihres Vaters angelegt hatte.
Rosalind schüttelte den Kopf. Diesen Gedanken hatte sie bereits verworfen. Keinesfalls durfte sie riskieren, dass bei diesem Treffen etwas schief ging. Sie musste diejenige sein, die für ihre Leute sprach.
Grollend streckte John die Hand aus, um ihr auf die Mauer über dem äußeren Torhaus zu helfen. Sie waren weit genug von den Schotten entfernt, um in Sicherheit zu sein, aber nahe genug, um gehört zu werden.
"Gibt es eine Möglichkeit, hinunterzuschauen, ohne dass ich mich dabei zeige?", flüsterte Rosalind. Ihre Stimme verriet ihre Angst.
John nickte. "Möglich, dass sie gerade nicht nach oben schauen. Ihr müsst geduckt bleiben."
Vorsichtig richtete sie sich ein wenig auf und spähte über die glatten Steine der Brüstung.
"Oh." Sie schnappte nach Luft, sobald sie das Schauspiel drunten erblickte. Kalte Furcht stieg in ihr auf und ließ sie noch stärker frösteln, als sie es sowieso wegen des Fiebers tat. John hatte gesagt, es wären über hundert Mann. Doch Rosalind vermutete, dass es wohl doppelt so viele waren.
In großer Anzahl hatten sich schottische Krieger vor dem Burgtor von Beaumont versammelt. Selbst von Rosalinds hohem Versteck aus gesehen schienen die Männer entsetzlich groß und kräftig zu sein. Die Scheusale, verbesserte sie sich bei dem Gedanken an das verheerende Feuer, das die Feinde damals gelegt hatten.
Sie schüttelte den Kopf, um die quälenden Erinnerungen zu verdrängen. Für so etwas war jetzt keine Zeit.
Nach einer weiteren, sorgfältigen Erkundung erkannte Rosalind jedoch, dass es wirklich nur etwas über hundert Schotten waren. Ihre Größe und die Tierfelle, die sie trugen, unterstrichen ihr wildes Aussehen und ließen sie als eine unbezähmbare Masse erscheinen.
Besonders ein Mann zog Rosalinds Aufmerksamkeit auf sich. Dunkles Haar fiel ihm in ungebändigten Locken um Gesicht und Nacken. Ein Umhang aus Leder lag auf seinen breiten Schultern und wurde am Hals von einer Art silbernen Brosche gehalten.
Flankiert von zwei Kriegern in ähnlicher Aufmachung, war der Mann in der Mitte ein wenig kleiner als der ungeschlachte Riese zu seiner Linken und ein wenig größer als der etwas kultivierter wirkende Ritter zu seiner Rechten. Alle drei strahlten inmitten der hektischen Belagerungsvorbereitungen Ruhe und stolze Kraft aus. Doch immer wieder fiel Rosalinds Blick auf den Schotten in der Mitte. Seine Autorität umgab ihn ebenso selbstverständlich wie sein Umhang. In ihrem tiefsten Innern erweckte er irgendwie ein bebendes Gefühl.
Sicherlich war das die reine Furcht. Schließlich konnte er der Mann sein, der für die Belagerung verantwortlich war.
Rosalind zwang sich, den Blick von dem dunklen Krieger abzuwenden und sich darauf zu konzentrieren, die Stärke der schottischen Streitkräfte zu schätzen, die sich auf den sonnigen Feldern rund um die Burg versammelt hatten. Sie besaßen nicht viele Pferde, aber die hatte Beaumont auch nicht. Allerdings befand sich ein riesiger Sturmbock im Besitz der Angreifer, und Rosalind zweifelte nicht
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