In den Armen des Fremden
„Na gut. Was möchten Sie wissen?“
Die noch bessere Frage war, was sie alles nicht wissen wollte. Offenbar war Ford auf den zweiten Blick eine vielschichtige Persönlichkeit.
Sie dachte daran, wie unbekümmert und charmant er ihr in der Bar in Texas vorgekommen war. Damals wirkte er so einfach – nicht etwa im Sinn von dumm, sondern erfrischend unkompliziert. Dieser Eindruck war es, der sie so stark zu ihm hingezogen hatte. Leger, mit positiver Ausstrahlung und einem unwiderstehlichen Lächeln – so hatte er ihre Abwehrmechanismen durchbrochen. Und auf dieselbe Art hatte er Dale beruhigt.
Schon das allein hätte sie stutzig machen sollen. Ein Mann, der es verstand, eine brenzlige Situation so geschickt zu entschärfen, war kein einfacher Cowboy. Und wie er sie für sich gewonnen hatte! Normalerweise ließ Kitty niemanden nahe an sich heran.
Sie hätte es sich gleich denken können: Einen Mann, der es schaffte, sie auf dem Parkplatz einer Bar zu verführen, sollte man nicht unterschätzen.
Und was lernen wir daraus?, dachte Kitty. Wer zweimal auf den denselben Trick hereinfällt, ist selber schuld …
Wie auch immer, Ford, den sie kaum kannte, war der Vater ihres Kindes. Sie hatte keine Ahnung, wie er reagieren würde, wenn er die Wahrheit erfuhr.
Jonathon, der noch immer auf eine Antwort wartete, lehnte sich nach vorne: „Wenn Sie eine Frage haben, sollten Sie sie jetzt stellen. Sehr viel länger werden seine Telefonate nicht mehr dauern.“
Plötzlich kam ihr ein Gedanke, der sie regelrecht ins Schwitzen brachte: Wollte Jonathon nichts sagen, weil Ford verheiratet war?
Kitty überwand ihre Angst und fragte so beiläufig wie möglich: „Mit Familie meinen Sie wahrscheinlich seine Frau, oder?“
Jonathon lachte laut auf. „Ford und verheiratet? Aber nein! Er ist der Letzte, der eine Frau betrügen würde.“
Kitty, die das verhasste Gefühl überkam, man hätte sie ausgelacht, biss die Zähne zusammen. „Ich kenne ihn doch kaum. Woher hätte ich das wissen sollen?“
„Die Sache ist die“, sagte Jonathon ernst. „Fords Vater hatte die letzten fünfzehn Jahre seines Lebens eine Geliebte. Oder besser gesagt eine zweite Familie in der Nachbarstadt. Zu seinen Lebzeiten hat das irgendwie funktioniert. Aber nach seinem Tod sah sich Ford als Nachlassverwalter plötzlich mit der Aufgabe konfrontiert, die beiden Familien miteinander auszusöhnen.“
„Ach, du liebe Zeit! Wie hat er das gemacht?“, fragte Kitty mit echter Anteilnahme.
„Wie er es immer macht.“ Jetzt schien Jonathon fast zu lächeln. „Er hat mit ihnen geredet und sie beruhigt.“
Mit Frauen kannte Kitty sich nicht so aus, da die meisten ihrer Freunde Männer waren. Sie konnte nur ahnen, wie sie sich fühlen würde, wenn sich herausstellte, dass der Mann, den sie liebte, heimlich noch eine andere Familie hatte: Sie wäre stocksauer! Und daran würde niemand etwas ändern, egal wie viel und wie beruhigend wer auch immer redete. Aber Ford schien eben diese Gabe zu besitzen.
„Man sollte meinen, dass sie einander hassen“, murmelte sie.
„Überraschenderweise nicht“, sagte Jonathon und zuckte die Schultern, als ob er selbst nicht verstand, warum es klappte. „Lange Zeit gingen sie einander aus dem Weg, aber, so seltsam das auch klingt, inzwischen sind sie befreundet. Fords jüngere Schwester – keine Halbschwester – Chelsea ist ungefähr so alt wie Beatrice. Er hat es geschafft, die beiden Frauen, Suzanne und Patrice, davon zu überzeugen, dass es gut für alle Mädchen ist, wenn sie Kontakt zueinander haben. Ein bisschen half dabei, dass sein Vater praktisch bankrott war, als er starb. Also hat Ford alle nach Kräften unterstützt.“
„Wie alt war er damals?“
„Dreiundzwanzig oder so.“
Irgendwo hatte Kitty gelesen, dass er seine erste Million mit zweiundzwanzig verdient hatte. Und kurz darauf hatte er bereits fünf Frauen unterstützen müssen! Soviel sie wusste, gingen die Schwestern inzwischen aufs College.
Kitty sah zur Tür, durch die Ford den Raum verlassen hatte. Sie führte in ihr Büro. „Passiert es oft, dass er so viele Anrufe bekommt?“
„Nur wenn er ein spezielles Problem für die Frauen lösen soll. Es kommt eben doch ab und an zu … Unstimmigkeiten. Dann wenden sich alle an ihn.“
„Und er kümmert sich um alles, aber lässt niemanden zu nahe an sich heran, stimmt’s?“
Nachdenklich sah Jonathon sie an. „Wie kommen Sie darauf?“
„Weil ich es genauso machen würde.“
7.
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