In den Armen des Highlanders
behaupten, ich hätte kein Heimweh. Seit meiner Abreise sind ja erst wenige Stunden verstrichen, und ich sehne mich schon jetzt nach Warwick. Aber die Boten des Königs haben mir versichert, ich könne Lord Dravens Eid, mich zu beschützen, vertrauen.«
Aus der Kehle des Earl drang ein seltsames Schnauben. Vielleicht lachte er auf diese Weise. »Ihr seid eine Närrin, Lady, wenn Ihr dem Schwur irgendeines Mannes glaubt.«
Beinahe blieb ihr das Herz stehen. Hatte er etwa vor, ihr etwas anzutun?
»Keine Bange, Lady, er will Euch nur erschrecken«, betonte Simon. »Ich fürchte, mein Bruder ist ein bisschen morbid. Daran werdet Ihr Euch mit der Zeit gewöhnen.«
Ein bisschen morbid - also wirklich ... Mit seinen Worten hatte ihr Lord Draven eisiges Entsetzen eingejagt.
Unverwandt betrachtete er ihr Gesicht, und sie musterte ihn ihrerseits. Könnte sie ihn doch ebenso mühelos durchschauen wie den umgänglichen Simon ... Es bedrückte sie, nicht zu wissen, was in ihm vorging.
Doch ihr Instinkt warnte sie. Draven de Montague war zweifellos ein gefährlicher Mann, der sich nahm, was er wollte, ohne Rücksicht auf die Folgen. Trotzdem durfte sie sich nicht einschüchtern lassen. Wenn ihr Vater ihr irgendetwas im Leben beigebracht hatte, dann war es die Notwendigkeit, stark zu bleiben und den Tatsachen ins Auge zu blicken. Immer wieder hatte er ihr eingeschärft, ein Unheil sei nur selten so schlimm, wie man sich’s einbilden würde ...
»Da müsst Ihr Euch schon etwas mehr anstrengen, Sir«, provozierte sie den Earl. »So leicht kann mir keiner Angst einjagen. Das werdet Ihr noch herausfinden.«
Obwohl er ihrem Blick auswich, sah sie den traurigen Zug, der sich auf sein Gesicht legte. »Entschuldigt mich, Lady, ich muss einiges mit meinen Männern besprechen.« Er stand auf, und sie beobachtete, wie er sein rechtes Bein ein wenig schonte. Als er davonging, hinkte er ganz leicht.
Als sie sich wieder Simon zuwandte, merkte sie, dass seine Heiterkeit verflogen war.
»Verzeiht meinem Bruder, Lady«, bat er. »Es ist nicht leicht, an ihn heranzukommen.«
»Und warum?«
Während er den letzten Bissen seiner Mahlzeit etwas mühsam hinunterschluckte, spürte Emily seinen inneren Konflikt. »Niemals würde ich die Geheimnisse meines Bruders ausplaude rn «, entgegnete er und zwang sich zu einem Lächeln. »Er hatte ein hartes Leben, diese Erklärung muss Euch genügen.«
Verwundert runzelte sie die Stirn. »Ein hartes Leben? Die Anhänger des Königs halten ihn für einen Helden. In, grob geschätzt, mindestens zwanzig Liedern werden seine Taten besungen. Wie kann ein so angesehener Mann ...«
»Draven ist ein Mensch, kein Mythos«, fiel Simon ihr ins Wort. »Auf dem Schlachtfeld erzielt er großartige Erfolge, weil er nichts anderes kennt.«
Da wusste sie, was er meinte. Sie schaute zu Ravenswood hinüber, der neben seinem Pferd stand. Solche Kämpfe rn aturen waren ihr schon manches Mal begegnet. Praktisch von der Wiege an wurden sie für den Krieg ausgebildet.
Die meisten Adeligen, wie ihr Vater und offenbar auch Simon, genossen eine behütete frühe Kindheit. Im Alter von sechs oder sieben Jahren wurden sie Freunden ihrer Familie oder Oberherren übergeben und anfangs zu Pagen, dann zu Soldaten erzogen. Einerseits erlernten sie höfische Umgangsformen, andererseits die Kriegskunst.
Doch einige Väter erwarteten mehr von ihren Söhnen. Diesen Kindern wurde nichts anderes beigebracht als das Kriegshandwerk. Nun erkannte Emily den Grund für Lord Dravens Verschlo ssenheit. Fast sein ganzes bis heriges Leben hatte er auf den Schlachtfeldern verbracht, in Gesellschaft von Soldaten und Feinden.
»Stammt Ihr von einem anderen Vater ab als Euer Bruder?« Emily erinnerte sich, dass Simon erwähnt hatte, sein Vater sei im Krieg gefallen.
»Aye, Lady. Mein Vater war kein grandioser Ritter, eher ein Minnesänger - auf dem Schlachtfeld bestenfalls verlässlich, niemals brillant.«
»Und Lord Dravens Vater?«
Simon antwortete nicht sofort, und der bittere Hass, den sie in seinem Gesicht erkennen konnte, erschütterte sie. »Unbesiegbar ... Wie man mir berichtet hat, mussten feindliche Truppen manchmal nur seinen Wimpel sehen, um sich sofort zu ergeben.«
Auch Emily hatte solche Geschichten gehört. Für seine Grausamkeit war Harold of Ravenswood berühmt gewesen. »Warum hasst Ihr ihn, Simon?«
Ehe sie weitere Fragen stellen konnte, verkündete der Earl, es sei an der Zeit, die Reise fortzusetzen.
Schweigend packten
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