In den Armen des Highlanders
auszumerzen.«
Emily starrte ihn verstört an. »Das begreife ich nicht.«
In Simons Augen vertiefte sich der Kummer. »Mein Bruder schläft nicht viel, weil Harold den Schlaf für eine unmännliche Schwäche hielt. Wenn ein Krieger schläft, ist er verletzlich. Jedes Mal, wenn Draven die Augen geschlossen hat, hat ihn sein Vater verprügelt, um ihn zu wecken.«
Emily erinnerte sich an den Tag, an dem sie ihn schlafend im Obstgarten gefunden hatte. Als er erwacht war, wachgerüttelt von ihrer Hand, hatte wilder Zorn in seinem Blick gestanden, und für einen Moment hatte sie sogar befürchtet, er würde sie schlagen. »Wie konnte Harold so grausam sein?«, flüsterte sie.
»Weil er kein Herz hatte. Alle Earls of Ravenswood wurden dazu erzogen, nichts zu empfinden außer Wut und Hass. Deshalb sind sie so großartige Krieger. Auf dem Schlachtfeld kann man sich leichter behaupten, wenn man nur für den Kampf lebt, wenn es nichts anderes gibt, das einem lieb und teuer ist. Und so haben die Ravenswoods den Tod stets mit Freuden begrüßt, als Erlösung von ihrem elenden, einsamen Dasein.«
Beinahe blieb Emilys Herz stehen. »Und Draven?«
»In vieler Hinsicht unterscheidet er sich von seinen Vorfahren. Seine Persönlichkeit wurde nachhaltig von unserer Mutter beeinflusst, obwohl er das bestreitet. Glücklicherweise hat sie lange genug gelebt, um ihm zu zeigen, was Güte bedeutet, wie man sich fühlt, wenn man umarmt und behütet wird. Und so versteht er es, andere zu schützen und zu umsorgen. Aber aus irgendwelchen Gründen weigert er sich, diese Seite seines Wesens anzuerkennen. Stattdessen sieht er nur jenen Teil, den er von seinem Vater geerbt hat. Wenn Ihr ihm glaubhaft klar machen könnt, dass er anders ist als Harold, Lady Emily - dann könnt Ihr einen Ehemann gewinnen, der niemals von Eurer Seite weichen wird.«
Von bangen Zweifeln erfüllt, zuckte sie die Achseln. Würde es ihr gelingen, einen so schmerzlich verletzten Mann ins Reich der Liebe zu führen?
»Seid versichert, Lady, es lohnt sich, um Draven zu kämpfen.«
»Aber wie soll ich’s nur anfangen, Simon? Ich habe keine Ahnung.«
»Ich leider auch nicht«, gestand er seufzend. »Schon vor langer Zeit hat er sich allen Menschen verschlossen. Nicht einmal ich komme an ihn heran. Ich habe niemals einen Mann gekannt, der zu willensstark gewesen wäre. Nur bei meinem Bruder würde ich das vermuten.«
Während Emily nachdachte, erinnerte sie sich plötzlich an einen Vers aus einer ihrer Lieblingsballaden.
»Natürlich, Simon! Accusain und Laurette.«
»Was meint Ihr?«, fragte er überrascht.
»Heute haben wir ein Lied auf dem Jahrmarkt gehört, über einen sarazenischen Krieger und eine normannische Prinzessin. Sie entstammten völlig verschiedenen Welten. Trotzdem wurden sie in inniger Liebe vereint, die Accusains verwundetes Herz heilte und es ihm gestattete, Laurette zu lieben.«
»Aber das ist eine Legende - Draven lebt in der Wirklichkeit.«
»Aye, vielleicht. Aber ich lebe manchmal in einer Traumwelt. Als Träumerin will ich wagen, was Laurette an meiner Stelle tun würde.«
»Und das wäre?«
»Nun, ich werde meinen Prinzen dort aufsuchen, wo er wohnt«, erwiderte sie und tätschelte Simons Arm. »Wünscht mir Glück!«
Tief bewegt wartete er, bis sie davongeeilt war. Erst dann flüsterte er: »Emily, ich wünsche Euch noch viel mehr - Glück und Erfolg.«
Draven starrte in die Nacht. Um das Burgtor und das Fallgitter zu erhellen, hatte man große Kerzen aus Binsen und Talg entzündet.
Jenseits der Lichtkreise sah er nichts. Nur undurchdringliche Schwärze.
In der Dunkelheit hatte er stets Erleichterung gefunden. Wie die Umarmung einer Mutter erweckte die Nacht den tröstlichen Eindruck, nur er allein würde existieren. Sie erinnerte ihn an den Tod. Wenn er die Augen schloss, konnte er sich vorgaukeln, das Ende der Welt sei gekommen. Dass es nichts mehr gab. Keinen Schmerz, keine Einsamkeit, keine Vergangenheit, keine Zukunft.
Nichts.
Doch sobald er die Lider hob, stürmte die Realität erneut auf ihn ein.
Wann würde das alles ein Ende nehmen?
»Sir?« Nur zögernd wandte er sich um, als die sanfte Stimme hinter ihm erklang.
»Lady Emily? Was macht Ihr hier?«
»Ich habe Euch gesucht«, entgegnete sie und zog ihren Umhang enger um die Schultern.
»Warum?«
»Warum nicht?«
»Wollt Ihr mir beweisen, wie frivol Ihr Euch benehmen könnt?«
»Aye.«
Wieso wagte sie es immer wieder, ihn herauszufordern, nahm sich Dinge
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