In den eisigen Tod
Umbau der Schlitten die Hand verletzt hatte.
Die Persönlichkeiten der anderen Mitglieder der Pol-Gruppe spielten auch eine Rolle. Rittmeister Oates verkörperte den lakonischen Offizier des edwardianischen Zeitalters. Er wäre wahrscheinlich erleichtert gewesen, wenn er aufgefordert worden wäre, mit der letzten Hilfsgruppe zurückzukehren; denn seine Kriegsverletzung am linken Bein machte ihm wohl zu schaffen. Er hatte bereits Probleme mit den Sehnen an der Rückseite seines anderen Knies – des rechten – gemeldet, bevor die Wahl für die letzte Gruppe getroffen wurde. Die unausgeglichene Wirkung seines verkürzten linken Beins würde eine schwere, verzerrende Belastung auf seinem rechten Bein sowie sein Rückgrat und Becken darstellen, nachdem er bereits so viele Kilometer zu Fuß und auf den Skiern zurückgelegt hatte.
Darüber hinaus teilte Oates nicht die leidenschaftliche Ergebenheit, die die anderen gegenüber Scott an den Tag legten. Er war viel mehr als Edgar Evans ein Außenseiter – ein Mann des Militärs aus einer anderen sozialen Schicht, der aufgrund der Tatsache, dass er zur Pol-Gruppe gehörte, wenig zu beweisen oder zu gewinnen hatte. Doch er war sich der Ehre seines Regiments und des Militärs bewusst und verfügte wie andere Angehörige seiner Generation über ein ausgeprägtes Pflichtgefühl. Es wäre ihm niemals in den Sinn gekommen, darum zu bitten, entweder mit Atkinson oder mit Teddy Evans zurückzukehren. Dennoch wurde ihm sein Pflichtgefühl zum Verhängnis. Hätte er seine zunehmende Schwäche eingestanden, dann wäre er nicht zum Pol gegangen. Oates’ Zusammenbruch hielt wie der von Evans seine Kameraden erheblich auf. Unglücklicherweise erkannte Wilson, der seit einigen Jahren kein praktizierender Mediziner mehr war, die Probleme nicht, die Oates und Evans hatten. Hätte er seine Kollegen in der Phase, in der eine Rückkehr noch möglich gewesen wäre, trotz der Kälte auch nur einer rudimentären Untersuchung unterzogen, hätte er vielleicht festgestellt, in welch ernstem Zustand sich Evans’ Hand und Oates’ Fuß befanden, und damit womöglich Scotts Auswahl der Mitglieder der Pol-Gruppe beeinflusst. Scotts Überlebenschancen wären womöglich beträchtlich gestiegen, wenn er statt Edgar Evans und Oates Lashly und/oder Crean mitgenommen hätte.
Wilsons und Bowers’ körperliches und geistiges Durchhaltevermögen und ihre Ergebenheit gegenüber Scott bildeten ein Gegengewicht zum Kräfteverfall von Evans und Oates und stellten für Scott eine Quelle der Kraft dar. Doch Wilson und Bowers hielten ihrem Führer vielleicht zu sehr und zu bedingungslos die Treue. Bowers hatte früher einmal geschrieben, er sei Kapitän Scotts Mann und werde bis zum Ende bei ihm bleiben. Selten, wenn überhaupt stellten sie seine spontanen Entschlüsse und seine bisweilen unlogischen Entscheidungen in Frage oder gingen seiner Unschlüssigkeit auf den Grund. Paradoxerweise wurde dadurch vielleicht Scotts Last als Führer noch erschwert, weil es seine Isolation, seine Schuldgefühle und sein Verantwortungsgefühl verstärkte. Ihre Loyalität machte es ihnen auch schwer, ihn am Ende allein zu lassen, um zu versuchen, zum One-Ton-Depot durchzubrechen. Bowers – und in geringerem Umfang – Wilson waren besser in Form als Scott, der durch seine Erfrierungen lahmgelegt war, und hätten vielleicht weitermachen können. Bowers schrieb in seinem letzten Brief an seine Mutter: »Ich bin immer noch stark und hoffe, [das One Ton] Depot zu erreichen.«
Aus den Tagebüchern wird nicht deutlich, warum sie es nicht versuchten. Niemand wird je erfahren, was in diesem kalten grünen Zelt tatsächlich geschah. Vielleicht war das Wetter einfach zu schlecht, auch wenn es, Susan Solomons meteorologischen Untersuchungen zufolge, unwahrscheinlich ist, dass der Schneesturm während der ganzen Zeit, die sie im Zelt lagen, andauerte. 30 Es gibt keine Beweise dafür, dass Scott versuchte, es ihnen auszureden. Ebensowenig gibt es Hinweise darauf, dass Scott versuchte, es Rittmeister Oates nachzutun und sich zu opfern, um ihnen die Entscheidung zu erleichtern. Selbst wenn er es versucht hätte, hätten sie es wahrscheinlich nicht zugelassen. Über welche Möglichkeiten sie auch immer diskutiert haben mögen, es könnte sein, dass sie beschlossen, sich neben ihren Führer zu legen und auf den Tod zu warten. Natürlich waren sowohl Wilson als auch Bowers nicht nur Scott gegenüber zutiefst loyal, sie waren auch beide tief
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