In den eisigen Tod
durchführte. Trotz der damals starken Rivalität zwischen den Nationen und Scotts bekannter Empfindlichkeit gegenüber anderen, die ihm in dem, was er für sein Privatgehege hielt, in die Quere kamen, war Wilhelm Filchner nach London gekommen, um alle konfliktträchtigen Fragen im persönlichen Gespräch zu klären. Amundsen zog es vor, seine Pläne zu schmieden und den Beginn seiner Reise zu verheimlichen. Von dem Augenblick an, als Scott in Melbourne erfuhr, dass der Norweger nach Süden reiste, stand er unter Druck. Wie sollte er reagieren? In seinen Augen hatte sein Widersacher schlitzohrig und nicht wie ein Gentleman gehandelt. Sollte er nun seine eigenen Pläne ändern? Was würde geschehen, wenn Amundsens Ansatz sich als überlegen erweisen würde? Was würde die Welt über ihn, Scott, sagen, wenn er von Amundsen geschlagen würde? Seine Hoffnungen auf Ruhm und Ehren schienen plötzlich auf schwachen Füßen zu stehen. Die Tatsache, dass er Amundsen in der Bay of Whales antraf, musste in den Monaten vor dem Aufbruch der Pol-Gruppe Scotts inneren Frieden zutiefst erschüttert haben, auch wenn er vielleicht eine tapfere Miene zur Schau stellte. Und dann kam die entsetzliche Entdeckung am Pol selbst. Scott übertrieb nicht, wenn er schrieb, dass »das Schlimmste geschehen war«. Erschöpft, unterernährt und angesichts einer ihnen noch bevorstehenden grauenhaften Rückreise muss die Enttäuschung fürchterlich gewesen sein. Nach all den Jahren des Kampfes und der Anstrengung gab es nur den zweifelhaften Trostpreis, als erster mit der Neuigkeit zurückzukehren.
Persönlich war es für Scott ein vernichtender Schlag. Er würde nicht als heroischer Eroberer zu seiner Frau zurückkehren, die er mit so großer Ehrfurcht betrachtete und die ihn ermuntert hatte, nach Süden zu reisen. Wie er in seinem letzten an sie gerichteten Brief schrieb: »Du hast mich gedrängt, eine Führungsrolle zu übernehmen ... Ich habe mich die ganze Zeit der Herausforderung gestellt, nicht wahr?« Oates hatte viel früher scharfsinnig kommentiert: »Wenn [Amundsen] als erster den Pol erreicht, werden wir mit eingekniffenem Schwanz nach Hause kommen, soviel ist gewiss. Ich muss sagen, wir haben viel zu viel Wirbel um uns gemacht, diese ganze Fotografiererei, das Jubelgeschrei, die großartige Verabschiedung durch die Flotte usw.« 29 Während Scott mühsam wieder nach Norden marschierte, müssen solche Gedanken ihren physischen und mentalen Tribut gefordert haben. Er neigte, wie er selbst zugab, zur Selbstbeobachtung und zu Depressionen. Er litt wahrscheinlich auch unter dem Stress – daher die auf der Discovery -Expedition und am Fuße des Beardmore-Gletschers immer wieder auftretenden Verdauungsstörungen, die ihn befürchten ließen, gar nicht bis zum Pol gehen zu können. Diese Charaktereigenschaften traten wahrscheinlich auf der Rückkehr vom Pol stärker zutage. Seine Tagebücher zeigen, dass er tapfer versuchte, sich von Bowers’ und Wilsons Fröhlichkeit trösten zu lassen, weisen aber auf ein furchtbar schweres Herz hin.
Edgar Evans war ebenfalls bitter enttäuscht. Seit den Tagen der Discovery war er Scott treu ergeben, und der Misserfolg am Pol hatte vielleicht das Vertrauen in seinen Kapitän erschüttert und damit seine geistige Widerstandskraft gegen seinen körperlichen Zusammenbruch geschwächt. Natürlich spielte bei der ganzen Katastrophe das Nachlassen seiner Körperkräfte eine Rolle. Es war nicht nur zermürbend zuzusehen, wie der Zustand des groß gewachsenen Walisers sich bis zur Hilflosigkeit verschlechterte; die anderen gerieten durch ihn auch in Verzug. In Scotts Tagebuch findet sich denn auch aufrichtige Erleichterung über Evans’ natürlichen Tod. Manche meinen, dass Evans deshalb unter Druck stand, weil er in einer Gruppe von Offizieren als einziger vom Mannschaftsdeck stammte. Doch dagegen spricht, dass Evans Scott gut kannte – er hatte sich auf der Discovery -Expedition mit ihm einen Schlafsack geteilt und hatte Scott überreden können, ihn wegen seiner Zecherei in Neuseeland nicht aus der Terra - Nova -Expedition zu verbannen. In mehreren Tagebüchern finden sich auch Hinweise auf seine allgemeine Umgänglichkeit und darauf, mit welcher Leichtigkeit er sich in Cape Evans unter die Wissenschaftler und Offiziere mischte. Von Belang war allerdings, dass Evans – vielleicht aus Loyalität gegenüber Scott und wegen seines Ehrgeizes, zum Pol zu gehen – ihm nicht offen sagte, wie schwer er sich beim
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